NEUE EINHEIT-Extrablatt Nr. 19, Dezember 1992:
 
Neonazismus und Staat

 

Gegenwärtig finden eine Reihe großer Demonstrationen und Aktionen, auch Kundgebungen von Regierungsseite statt, die sich gegen die ausländerfeindlichen Handlungen, Morde, Anschläge und Ähnliches von seiten der Skinheads und Neonazigruppen wenden.
Das Auftreten dieser Gruppierungen ist in der politischen Landschaft des Jahres 1992 kein Zufall. Die Lage in den neuen Bundesländern, in der Bundesrepublik überhaupt, markiert einen ökonomischen Bankrott, der nach dem Vorgehen im Zusammenhang mit der Einvernahme der ehemaligen DDR niemand verwundern kann.

Und international? Ein Debakel des Kapitalismus, der sich eben noch als Sieger feierte, zeichnet sich ab. Und überall auf der Welt werden kriegerische Umtriebe inszeniert. Mit regelrechtem Eiltempo versucht man, den noch verbliebenen revolutionären Widerstandsbewegungen Herr zu werden, weil man ganz zu Recht fürchtet, daß dem internationalen Kapital ganz im Gegensatz zu seinen Hoffnungen bei dem Zusammenbruch des Revisionismus in der Ex-Sowjetunion, die Situation "aus der Kontrolle zu geraten droht". Dieser Zusammenbruch markiert eine Krise des ganzen Kapitalismus, von dem dieses verkommene pseudosozialistische System in der Sowjetunion der letzten Jahrzehnte nur ein Anhängsel war.

Nachdem die Wiedervereinigung so gut wie sicher war - und das war schon im Frühjahr 1990 der Fall - und nur noch von einigen gewichtigen außenpolitischen Faktoren wie der Zustimmung der USA und der Sowjetunion abhing, begann man mit einer vollständigen Einvernahme der Ökonomie der DDR, die lediglich pro forma durch einen Parlamentsbeschluß der sogenannten freigewählten Volkskammer abgesichert wurde. Über die Treuhand wurde fast die gesamte Ökonomie der DDR auf die bestehenden besitzenden Klassen, die großen Konzerne und Banken im Westen verteilt, sowie über Management Buyout und andere Modelle an kleinere private Besitzer übergeben, die aber auch wieder von den Banken abhängig sind. Dieses Konzept beinhaltete auch, selbst solche Betriebe zu liquidieren, die auch innerhalb der Bundesrepublik lebensfähig sein konnten, allein schon um lästige Konkurrenz loszuwerden, und alles zu vernichten, was nicht unter ihre völlige Kontrolle kam oder nicht in ihre Strukturen paßte. Ohne eine Übergangsphase zu gestatten, wurde die gesamte Ökonomie der DDR mehr oder minder plattgemacht und unter die Gewalt gebracht. Der Bodenpreis wurde mit allen Mitteln oben gehalten, die Eigentumsregelung so gestaltet, daß jeder, wenn nur irgendwie möglich, sein angebliches oder tatsächliches Eigentum wieder bekommen kann, was eine unabsehbare Verunsicherung nach sich zog, was überall das letzte Spekulantentum aktivierte und die Initiative erstickte.

Dieser Vorgang, der keineswegs nur einen Neuaufbau markiert, sondern auch eine große Zerstörung ist, soll bezahlt werden aus den Taschen der Bürger der Bundesrepublik Deutschland. Sobald der westdeutsche Staat sich nicht mehr der Konfrontation gegenübergesehen hat, hat er auch sein soziales Wesen (etwas) geändert. Die Zugeständnisse des Sozialstaates waren maßgeblich Ergebnis des Klassenkampfes der Vergangenheit, der mehr als hundertjährigen Arbeiterbewegung und der revolutionären Bewegungen im Lande, die mit der internationalen Revolution in Rußland, in China und der Dritten Welt in Verbindung standen, auch der Niederlage, die die deutsche Reaktion in zwei Weltkriegen gemacht hat. Natürlich spielte die Konfrontation mit dem früheren Sozialismus und sogar seinen letzten Resten eine Rolle. Mit der Beseitigung derselben meinten sie nun, sie könnten wieder machen, was sie wollen. Der westdeutsche Staat, der vorher die soziale Komponente in sein politisches Leben einbauen mußte, aufgrund der politischen Konfrontation, zeigte sich von diesem Moment ab von einer anderen Seite. Fiel der Gegendruck fort, so konnte er sein unsoziales, sein wahres politisches Wesen umso offener hervorkehren. Politisch wurde dies auch durch ein Bündnis zwischen den bisherigen Parlamentsparteien und so mancher Kraft aus der ehemaligen revisionistischen DDR unterstützt.

Dies hat äußerst bittere Folgen für die Bevölkerung der DDR gehabt und einen ökonomischen Bankrott deutlich gemacht. Nichts steht so sehr im Mittelpunkt wie die gesellschaftlichen Fragen, die aus diesem ganzen Vorgang resultieren. Gleiche gesellschaftliche Fragen stellen sich auf der ganzen Welt. Der Zerfall des Pseudokommunismus in der Sowjetunion und das Mißlingen eines kapitalistischen Aufbaus ist auf internationaler Ebene ein ähnlicher Vorgang, wie er innerhalb Deutschlands passiert.

In dieser Zeit wird nun das Neonaziunwesen hochgespielt und kommt in den Vordergrund des gesamten politischen Denkens. Ihre Mordtaten und Abstrusitäten, manchmal auch ihre Demagogie beherrschen ganze Tage lang die Medien, wobei man sie wochenlang gewähren läßt. In der Tat ist das kein Zufall. Ablenkung ist erstmal ein grundlegendes Element dieses ganzen Vorganges, wer immer auch dieses Naziunwesen protegiert hat, in der Vergangenheit und Gegenwart.

Dieses Moment ist unübersehbar. Widerstand gegen das Treiben dieses Staates ist in den letzten Monaten vielen Menschen in den Sinn gekommen, aber ganz anders und mit ganz anderen Sinn als bei den Naziabsurdköpfen.
 
 

Aufziehung und Begünstigung

In zahlreichen Reden treten die bürgerlichen Politiker auf - von Seiters bis hin zu Vertretern der SPD, über den Berliner Regierenden Diepgen und Vertreter der Grünen - und greifen das Neonaziunwesen in einer bestimmten Weise auf. Sie attackieren "linken und rechten Radikalismus", oder sprechen nur von "Radikalen", oder nur von "Gewalttätern" u.ä. und
gehen am Wesen der Sache, was diese Neonazigruppen repräsentieren, vollkommen vorbei.
 

Wer hat eigentlich diese Leute propagiert und wie sind sie hochgekommen?

In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Vorstöße aus den Medien, die diese Gruppen gefördert und gehätschelt haben. Rein äußerlich sich von den Gruppen absetzend, sie verurteilend hat man sie in Wahrheit hochgespielt und aufgewertet, indem man die ganze Art der Aufmachung so gestaltete, daß die Anführer und jugendlichen Gefolgsleute sich geschmeichelt fühlen mußten, als Fernsehstars vorkommen mußten u.ä.. Sogar Gelder für Hitlerposen und ähnliche Symboliken wurden von den Medien aus dem In- und Ausland bezahlt. Ein gutes Dutzend Fälle dieser Art sind inzwischen bekannt geworden. Dies waren in Wirklichkeit versteckte Formen der Propaganda. Viele Sendungen, die Ablehnung vorgaben, waren in Wirklichkeit Formen der Werbung. Seit Ende der siebziger Jahre laufen diese Dinge schon.

Bestimmte Gruppierungen unter den Linken, die diese faschistische Gefahr schon seit Ende der siebziger Jahre ausgemalt haben, taten so, als müßte man mit der DKP und ähnlichen Parteien einen antifaschistischen Kampf führen. Wir wissen aber, daß es viele Bindeglieder während der achtziger Jahre zwischen den Neonazis und der Stasi selbst gab - eine Sache, auf die diese Gruppierungen bis heute keine Antwort geben können.

Auch damals wurde diese Art von Grüppchen aufgewertet. Es hat sich nun gezeigt, daß ausgerechnet auf dem Boden der ehemaligen DDR diese Neonazigruppierungen stärker sind als irgendwo sonst im Westen, und das wohl nicht zufällig. Die sogenannten Kader dieser Gruppierungen strömten in die ehemalige DDR, um dort unter Jugendlichen zu agitieren. Beschränktheit des Horizonts, Konservierung altertümlicher Mentalitäten - das hat eben die DDR seit 30 Jahren ausgezeichnet und den Boden für ein derartiges Treiben dort vorbereitet.
 
 

Die Stellung der Justiz

Es ist ein Hohn, wenn man sieht, wie diese Gruppierungen von der Justiz behandelt wurden. Mit geringfügigsten Strafen für größte Vergehen wurden sie behandelt. In aller Öffentlichkeit konnten Skinheads ihre schmutzigen, menschenfeindlichen Losungen vertreten und ausbreiten, ohne daß irgendwo die Justiz eingegriffen hat. Es handelte sich offensichtlich um kriminelle Vereinigungen, aber nichts wurde unternommen. Also müssen diese Kräfte eine Protegierung durch gesellschaftlich sehr einflußreiche Kräfte und durch staaatliche Kräfte gehabt haben. Sie wurden von der Justiz gehätschelt und von den Medien indirekt propagiert. Das ist erstmal eine Tatsache, die man voranstellen muß.

Nun kommen die gleichen Medien und reden was von "Gefahr von Gewalttätern" und von "linker und rechter Gefahr" daher, in einer Situation, in der die Bevölkerung zunehmnend Unbehagen über das eigene System zeigt. Wie soll man die Dinge wohl zusammenreimen? Wer steckt hinter den ganzen Dingen, und wer versucht aus ihnen zu profitieren? Was ist das Wesen der Erscheinung, die sich hier in der Öffentlichkeit zeigt?

Es ist nur gut, daß der Faschismus, dieser verbrecherische Faschismus verurteilt wird, und man kann nur seine Hoffnung ausdrücken, daß mit aller Entschiedenheit gegen diese Sorte krimineller Organisation vorgegangen wird. Faschistische, rassistische Organisationen müssen verboten werden. Sie greifen ohne Zweifel die Zivilisation als Ganzes an. Unabhängig davon, welche Gesellschaftsform man vertritt, muß man dies vertreten.

Die Skinheads hängen sich USA- und Nazifahnen an die Wand, die Neonazis hängen sich ausschließlich Nazifahnen an die Wand. Alle sind sie von völlig menschenfeindlichem, reaktionären, rassistischen und letztlich auch gegen das eigene Volk gerichteten, üblen Parolen erfüllt. Sozial setzen sie sich zusammen nicht zuletzt aus kriminellen Subjekten und spielen sich in der Öffentlichkeit noch dreist als Saubermann auf.

Um die Aktivitäten der Neonazis zu treffen müssen die Hintergründe, aus denen dieses Phänomen genährt und gesteuert wird, getroffen werden.

In der Bundesrepublik wurden von gewissen Behörden und Organisationen (Teile der Justiz, BND) seit langem gewisse Neonaziumtriebe gefördert. In der antikommunistischen Strategie der USA nach dem zweiten Weltkrieg waren Nazielemente von vornherein fest eingegliedert.

Ungefähr acht Jahre vor dem Untergang der DDR wurden die Neonazis dort geduldet und gefördert. Dieses revisionistische, pseudosozialistische System, das in den letzten Jahres auf Preußentum machte, scheute sich auch nicht weiterzugehen und mit den Neonazis zu operieren.

Verschiedene Praktiken der DDR, allein schon der geforderte sklavische Untertanengeist, näherten sich dem Faschismus, verschiedene Praktiken der DDR bei der Behandlung von Ausländern (Eheverbote, Abschiebung im Falle von Schwangerschaft) waren rassistisch. In anderen Fällen wurden Ausländer bevorteilt, wurden in Devisen bezahlt und hatten ein freies Reiserecht, was ihnen große Möglichkeiten im Verhältnis zur deutschen und übrigen ausländischen Bevölkerung in der DDR einbrachte, schließlich die Einmauerung der großen Mehrheit, ihre Beschränkung im ganzen Handeln - alles das war ein günstiger Boden für primitiven Ausländerhaß, für Zurückgebliebenheit und Konservierung alter Strukturen.
 
 

Soziale Hintergründe

Die Frage des Unmutes über bestimmte Erscheinungen mit Ausländern, auf denen die Neonazis ihr Süppchen kochen, ist nicht zu trennen von den ökonomischen Vorgängen in Deutschland seit den siebziger Jahren. Zu Anfang wurden Millionen ausländischer Arbeitskräfte eingeführt, um sie bei besonders anstrengenden Arbeiten einzusetzen und eine soziale Spaltungspolitik zu betreiben. Dies war eine Methode des Kapitals, die ganz offen zu Tage lag. Nur wenn man dazu übergeht, die ganze Politik des Kapitals der gezielten Freisetzung bestimmter Arbeiterschichten, der Ersetzung durch andere, der Deutschen durch Ausländer, und dieser wiederum durch andere Ausländer und dieser wiederum vielleicht durch Deutsche in die Zusammenhänge einbezieht, kann man auch fundamental den Rassismus in der Gesellschaft treffen. Nur wenn man die gezielten Produktionsverlagerungen, Umkrempelungen ganzer Regionen berücksichtigt, kann man den Dingen auf den Grund kommen. Wiederholt sich das nicht alles jetzt auch mit den Beschäftigten der ehemaligen DDR? Es gibt eine gezielte Politik mit der Arbeitslosigkeit, diese Wahrheit muß in diesem Zusammenhang erwähnt werden.

Nach dem offiziellen, gegen bestimmte Ausländer, vor allem gegen Türken gerichteten gesetzlichen Gastarbeiterstop nach den großen Streiks von 1973 ergab sich nach einigen Jahren die Notwendigkeit, aus anderen Quellen neue Arbeitskräfte zuzuführen, und dafür wurde maßgeblich seit etwa 1978 Asylbewerber, "Wirtschaftsflüchtlinge" genutzt.

Der Grund, warum von den sogenannten abgelehnten Asyslbewerbern kaum jemand zurückgeschickt wurde, liegt unter anderem darin, daß sie nicht selten als illegale und Billigarbeitskräfte gern gesehen wurden. Und dies geschieht unter den Bedingungen, daß aufgrund der Politik der hohen Mieten, der ganzen Benachteiligung der Kindererziehenden in unserer Gesellschaft, der Unvereinbarkeit von Arbeit und Kindern die eigene Bevölkerung beleidigt wird.

Die Einfuhr von Arbeitskräften über diesen und jenen Weg gehörte zum eiskalt berechneten Kalkül, zur sozialen Politik dieses Staates, schon seit Jahrzehnten. Und dafür wurden alle Quellen genutzt, seien es "Asylströme", seien es Aussiedlerströme, manchmal mehr dieser, manchmal mehr jener. Manchmal werden diese Ausländer der einen Nationalität hart behandelt und andere großzügig, manchmal wechselte dies, aber immer wurden die verschiedenen Teile gegeneinander ausgespielt.

Läßt man diese sozialen Umstände weg, tut man so, als handele es sich um eine reine Rechtsfrage, als handele es sich darum, ob man diesen und jenen Flüchtlingen hier Zuflucht geben will oder nicht, dann begeht man Heuchelei.
 
 

Gewalt und Demagogie
 
Über die Heuchelei der bürgerlichen Politiker.

Zahlreiche Politiker gefallen sich jetzt darin, wohlfeile Reden gegen die Naziumtriebe zu halten , regelrechte Brandreden gegen Gewalt und Rechtsradikalismus zu halten. Ein Beispiel ist der Berliner Regierende Bürgermeister Diepgen. Er gefällt sich darin, die Dinge zu verurteilen. Daß er das verurteilt, ist nicht schlecht. Aber sind nicht die Korruption etwa der Berliner Behörden, die Korruption etwa des früheren Berliner Senats, dessen Korruptionsaffären allmonatlich die Presse durchgingen, nicht selbst Wasser auf die Mühlen der Neonazis gewesen? Sind nicht gerade dadurch die REPs auch mit hochgekommen?

Besteht nicht die Gefahr, daß wenn solche Leute den Mund aufmachen und Propaganda betreiben, sie unfreiwillig sogar Propaganda für die Neonazis machen könnten?

Die Propaganda gegen Gewalt, wobei die Gewalt als etwas plötzlich völlig allein im Raum Stehendes dargestellt wird, hat ihre Haken, denn überall vermehrt sich auch der Wille der Bevölkerung zum Widerstand. Und niemand weiß, was in den Hinterstübchen etwa der großen Konzerne und der Banken ausgeheckt wird, wenn sie nicht mehr wissen, wie sie der Dinge Herr werden sollen.

Kann man nun vermuten, daß die Propaganda "gegen Gewalt" wirklich die Faschisten treffen soll? Oder soll sie vielleicht vorbereitende Maßnahmen in die Wege leiten, daß Repressionen gegen diejenigen erleichtert werden, die sich gegen die Gewalt des Staates zur Wehr setzen wollen? Dabei könnten wir in Zukunft plötzlich erleben, daß die Neonazigruppen, die jetzt als angebliche Gegner des bürgerlichen Staates hochgejubelt werden, plötzlich auf Seiten des Staates stehen werden, wie es schon einmal war.

Der Hitlerismus ist eine verachtenswerte Ideologie, wenn man dieses Wort überhaupt im Zusammenhang mit den wahnwitzigen Kritzeleien von Hitler und seinen Kumpanen verwenden darf. Haß gegen das eigene Volk, gegen die eigene Zivilisation, gegen jede Form von Demokratie sind das erste und primäre Element dieses vom ersten Weltkrieg ausgeworfenen Elementes, das sich in der ersten Nachkriegszeit als Spitzel gegen das eigene Volk betätigt hat und später auf nationale Befreiung gemacht hat, während es ihm in Wirklichkeit darauf ankam, alle auch nur irgendwie vorhandenen selbständigen Regungen des eigenen Volkes brutal zu unterdrücken. Die Hetze gegen Ausländer, die Erziehung zur Arroganz gegenüber Ausländern, die realitätsfremde "Herrenrassen"ideologie, die Hetze gegen Juden dienten zu nichts als zur Ablenkung und zur Entfaltung der viehischsten und brutalsten denkbaren Instinkte.
 

Hintergründe

 Der Haß gegen Internationalismus, gegen den internationalen Zusammenhang, die Verknüpfung der Gesellschaft, ging soweit, daß faktisch die gesamte Geschichte, die unser Land wie alle anderen Länder durchgemacht hat, negiert wurde und die angeblich reinsten Blutsbande gepredigt wurden. Selbst auf die vielzitierten und beschworenen Germanen aber aus grauer Vorzeit trifft eine solche Isolierung nicht zu, wie sie dem Faschisten des 20. Jahrhunderts Hitler vorschwebte. Es wird allerdings noch zu untersuchen sein, worauf gestützt diese Richtung in derart kurzer Zeit von wenigen Jahren einen derartigen Massenzuspruch erringen konnte, selbst bei Anerkennung aller bekannten Faktoren wie Unterstützung durch das Großkapital, Arbeitslosigkeit, Verlumpung, Verzweiflung.

Internationale Verschmelzung, Austausch von Kontakten, aber auch Entwicklung einer homogenen Kultur, die sowieso immer als Austauschprodukt mit anderen Kulturen entstanden ist, sind ein Kernelement der gesamten europäischen wie der übrigen Weltgeschichte. Der Hitlerismus war schon ideologisch der Mord an der eigenen Nation, und die Machtergreifung 1933, die allerdings von der deutschen Bevölkerung aufgrund ihrer Dummheit und ihrer Kritiklosigkeit entscheidend mit verschuldet wurde, war in Wirklichkeit das Ende des deutschen Staates selbst, bzw. eine armselige Karikatur eines solchen Staates. Die Machtergreifung Hitlers ist zu einem maßgeblichen Teil genau das Produkt derjenigen gesellschaftlichen Kräfte, die heute hier als Richter aufstehen und in heuchlerischer Weise "gegen Gewalt" Propaganda machen, und in Wirklichkeit sich gegen künftigen Widerstand in der Bevölkerung absichern wollen. Damals schon wurde so argumentiert, als verteidige man die Demokratie, derweil man in Wirklichkeit den Hitlerfaschismus durch die Hintertür unterstützte. Im entscheidenden Moment des Jahres 1933 unterstützten alle bürgerlichen Parteien die Machtergreifung Hitlers, die angeblich ihn vorher als "Radikalen" abgelehnt haben.

Der Hitlerfaschismus wurde durch eine Reihe maßgeblicher großer Konzerne unterstützt, nicht nur aus Deutschland wie dem Ruhrkartell, der Chemieindustrie, IG Farben und anderen, sondern auch von US-imperialistischen und britischen Konzernen, die durch die Hintertür den Hitlerismus unterstützten, um sich später als Scharfrichter und Richter in der Weltgeschichte aufzuspielen. Auch Chauvinisten anderer Länder, wie in Polen, oder einige angebliche Kommunisten aus der Komintern haben durch ihre Politik und ihr Verhalten zur Machtergreifung des Hitlerismus beigetragen.

Den Hitlerismus zeichnet Haß auf die moderne Industrie, auf den modernen Handel und internationalen Warenaustausch aus - Dinge, die in den letzten 15 Jahren in einer eigenartigen Form, zum Teil bei Alternativen und Ökologisten, wieder aufgetaucht sind. Extreme Unwissenschaftlichkeit und Irrationalismus zeichnen diese Richtungen aus. Auch diese Phänomene hat der Ökologismus neu belebt. Und eben all diese negativen politischen Merkmale, diese Geschichtsverleugnung und dieser Apokalypsenglauben und ähnlicher miserabler Mist wurden seinerzeit zugleich mit der fanatischsten Gewalt und größten Zerstörungswut gegen die fortschrittlichen Kräfte im Lande gepaart. Das prägte die Gewalt der Hitleristen und der dazugehörigen Lumpen! Um diese Gewalt und um keine andere geht es.

Die gleiche Zerstörungswut, der gleiche Nihilismus, die gleiche Menschenverachtung wurde in unserer Zeit bestimmten Jugendlichen eingeimpft, oder durch bestimmte Kulturen unter den Jugendlichen verbreitet.

Nicht zufällig wurde die Skinheadideologie aus Großbritannien importiert, wo sie zuerst auftauchte, und in Deutschland ausgebreitet. Ein Teil der Neonazis wurde während der siebziger Jahre auch aus den USA unterstützt. So verschmolzen sich nach uraltem Muster einheimische Reaktionäre und ausländische Reaktionäre, um ihr Unwesen zu betreiben.

Inzwischen aber hat die Unterstützung der Neonazis ein anderes Ausmaß angenommen. Ohne offizielle Unterstützung wäre es niemals dazu gekommen, daß eine solch große Fülle von Anschlägen in solch großer Zahl nacheinander möglich gewesen wäre, die von allen wirklichen gesellschaftlichen Problemen ablenken, einschließlich bestimmter Probleme, die sich mit Asylsuchenden verbinden.

In der Tat hat bei der Mehrheit der Bevölkerung die Bereitschaft, mit Ausländern in einer fairen Weise zusammenzuleben, überwogen. Aber die Hetze und die Bedingungen und die untergründigen Aktivitäten, das gezielte Ausspielen von Deutschen und Ausländern gegeneinander im Betrieb, bei den Wohnungen und bei anderem, machen überhaupt das Auftreten solcher Strömungen unter Jugendlichen möglich. Die Verantwortlichen dieses ganzen Schmutzes sitzen selbst in den allerobersten Etagen.

Verbunden aber ist all dieses Vorgehen mit der entsprechenden Formen widerwärtiger Heuchelei. Wenn der Ministerpräsident von Sachsen, der früher so bekannte CDU-Alternative Biedenkopf davon spricht, "Gewalt widerspricht unserer Zivilisation", so redet er genauso an unserem ganzen Problem vorbei. Gewalt durchzieht - das mag man nehmen wie man will - unsere Geschichte in der Vergangenheit und Gegenwart, in Europa, in Amerika, in Asien oder sonstwo. Immer war es aber die Frage, wozu diese Gewalt diente. Jeder Staat verfügt über Gewalt, die Frage ist nur, in wessen Interesse sie dient und wozu sie eingesetzt wurde. Nicht selten haben in der Vergangenheit Reaktionäre dazu gegriffen - unter dem Parlamentarismus oder einem anderen System - Gewalt gegenüber der Bevölkerung anzuwenden. Von der Gewalt gegen schlesische Weber in der Mitte des 19. Jahrhunderts angefangen, über das Zusammenschießen der Revolution von 1848 und der Pariser Kommune im Jahre 1871, über unzählige Gewalthandlungen und schmutzige Machenschaften gegen die Arbeiterbewegung, über die Sozialistengesetze bis hin zum ersten Weltkrieg, von den Untaten während und nach dem ersten Weltkrieg bis hin zum Faschismus ganz abgesehen.

Gewalt kann überwunden werden, wenn die sozialen Widersprüche, die Gewalt hervorbringen, verschwinden.

Auch die neuere Geschichte in unserem Land ist keineswegs frei von Gewalt.

Die Propagandaorgane der Bunderepublik etwa Ende der sechziger Jahre, in ihrer Hetze gegen damals fortschrittliche, antifaschistische und revolutionäre Jugendliche griffen zu Formen offener Provokationen und Pogromhetze, die zu Gewalt eben gerade reaktionärer Faschisten gegenüber der fortschrittlichen Bewegung anheizten.

Auch die Bundesrepublik ist nicht frei von Gewalt. Sie wandte Gewalt an, und zwar nicht selten in Verbindung mit Korruption und Isolierung derjenigen, die eine ernsthafte Opposition gegen diesen Staat betreiben wollten.

Deswegen gehen solche Äußerungen völlig am Wesen vorbei. Derweil Herr Biedenkopf davon redet, daß die Gewalt unserer Zivilisation widerspricht, unterstützt die sächsische Landesregierung de fakto das offene Auftreten der Neonazis in Dresden, die dort ungeniert ihre menschenverachtenden Parolen, die demagogisch an die sozialen Verbrechen von seiten des jetzigen Systems gegenüber der Bevölkerung der ehemaligen DDR anknüpfen, verbreiten können.
ks/zk -

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© 1992 Verlag NEUE EINHEIT   (Inh. Hartmut Dicke)