Antwort an M. Schreader

Zunächst einmal ist zu den Anschuldigungen Schreaders zu sagen, daß es sich bei der Stellungnahme der Gruppe Neue Einheit zum Wahlkampf der Parteien um kein Programm und um kein programmatisches Dokument handelt, sondern um eine öffentliche Attacke zu dieser erpresserischen Wahl, die sich speziell diesem Thema widmet. Die Vorwürfe, daß darin verschiedene soziale Fragen nicht berührt seien, gehen fehl.

Wir gehen jetzt zu dem Auffälligsten seiner Angriffe. Der Autor erhebt seine Beschuldigungen vor allen Dingen im Zusammenhang des Vorgehens von SPD und Grünen in punkto der sog. Emanzipation der Homosexualität. Deshalb werden wir dies auch zuerst zurückweisen.

Der Autor behauptet glatt, daß "der deutsche Marxismus stets eine stolze Geschichte der Verteidigung von Homosexuellen gegen die Attacken durch den bürgerlichen Staat" gehabt habe. Wann und wo soll das gewesen sein? Es gibt in der früheren 1. Internationale und in der Zeit der Sozialdemokratie bis 1914 keine Stellungnahme zugunsten der Homosexuellen, das ist eine blanke Erfindung. Und auch später gab es nichts Derartiges, auch nicht in der KPD. Dieses Thema ist gänzlich neu. Erst seit Beginn der siebziger Jahre haben einige angeblich marxistische Organisationen das aufgegriffen. Was Marx betraf, so machte er sich lustig, daß einige Leute forderten, die Arbeiterbewegung solle sich für Homosexuelle einsetzen. Deshalb wurde er sogar von sogenannten Homosexuellen-Vertretern angegriffen. Engels drückte seinen Abscheu gegenüber der Homosexualität aus.

Wir können den Autor hiermit nur auffordern, uns noch einmal seine Behauptungen zu belegen, davon wird nicht viel übrig bleiben. 

Des weiteren die Behauptungen über die Bolschewiki.

Uns ist nur bekannt, daß die sowjetische Regierung den gesamten Sexualstrafrechtspragraphen des zaristischen Strafrechts annulliert hat, der verschiedene Fragen betraf. Es gibt aber keine einzige Stellungnahme von Lenin zu diesem Thema, noch nicht einmal eine einzige Bemerkung. Bezüglich Lenin ist es eine Erfindung daß er sich jemals für so etwas eingesetzt habe. Wenn Schreader ein Direktor eines Lenin-Internet-Archivs ist, dann sollte er doch einmal Belege für seine Ansichten geben. Die Sowjetunion hatte sicherlich im weiteren ihre Gründe, wenn sie derlei Verfallserscheinungen ausschloß aus dem gesellschaftlichen Leben.

Darüber hinaus, wo geht es hier um Strafrecht? Bei der SPD, den Grünen und auch den Massenmedien geht es um die sogenannte Gleichberechtigung, ja um sogenannte "Ehen" Homosexueller und sogar um das Recht, Kinder zu adoptieren! Wo jemals ist in der Sowjetunion oder in China oder in einem revolutionären Staat, wo in der früheren Menschheitsgeschichte überhaupt etwas derartiges gefordert worden oder nur gedacht worden! Es ist nichts als Perfidie, so etwas revolutionären Staaten zu unterstellen. Und ebenso ist es nichts als Perfidie, wenn die heutige von den großen Finanz- und Kapitaloligarchien beherrschte Gesellschaft etwas derartiges zum Gesetz machen will. Es gibt in der revolutionären Arbeiterbewegung nichts Derartiges.

"Gleiche Rechte für Unterdrückte, in diesem Fall für Homosexuelle" - was soll das für eine Losung sein.? Es ist eine Persiflage des Marxismus, und zwar eine sehr schlechte. 

Man kann aus sehr verschiedenen und gegensätzlichen Gründen unterdrückt sein. Es gibt Revolutionäre, welche unterdrückt werden, ein breites Spektrum progressiver Menschen, die sich aber zusammenschließen müssen im Kampf. Es gibt auch Reaktionäre, die unterdrückt werden, es gibt religiöse Sekten, die unterdrückt werden, es gibt manchmal Faschisten, die unterdrückt werden, es gibt verschiedenartige Kriminelle, die in dieser oder jener Weise repressiv behandelt werden oder regelrecht unterdrückt werden. 

Auch die revolutionäre Diktatur der revolutionären Klassen unterdrückt die Kräfte des bürgerlichen und feudalen Verfalls, auch die kulturellen Repräsentanten derselben. Können denn Revolutionäre alle diese "Unterdrückten" gleichsetzen und "Gleiche Rechte für Unterdrückte" fordern?!

Schreader hat doch vom Marxismus und Leninismus schier gar nicht begriffen. Die "Befreiung aller Unterdrückten" - das ist schlechtester Anarchismus, eine Hintertür der Reaktion. 

Und Schreader wagt es, uns an Ultrarechte zu erinnern! Weiß er nicht, daß z.B. Hitler sich bei seinem Aufstieg ganz wesentlich auch auf homosexuelle Kreise gestützt hat? Daß viele Kreise in den USA, die zu den Ultrarechten gehören, ebenfalls homosexuell sind, einschließlich etwa des früheren FBI- Chefs Hoover. Schreader macht aus schwarz weiß und aus weiß schwarz. Nachdrücklich fordern wir ihn noch einmal auf, auch nur einen Beweis zu bringen, daß es in der Vergangenheit ein Eintreten für oder eine Förderung der Homosexuellen in der Arbeiterbewegung gegeben hat 

Wir attackierten die Wahlen und den sogenannten Wahlkampf, weil sie eine Erpressung gegenüber der Bevölkerung darstellen. Der Begriff "Bevölkerung" bedeutet hier die weit überwiegende Mehrheit aller derjenigen, die nicht zur Spitze dieses politischen Systems gehören. Diese Stellungnahme "Resultate des Wahlkampfs" versucht, die Erpressung daran zu markieren und die heimlichen Manöver, die ohne die Bevölkerung laufen, zu attackieren. Was hat Schreader gegen eine solche Stellungnahme einzuwenden? Wenn die grünen Maßnahmen, wie sie geplant werden, durchgeführt werden, dann sind dadurch vor allem sowohl deutsche als auch ausländische Arbeiter betroffen. Sie richten sich gegen fast alle Werktätigen, ganz besonders aber pressen sie die ärmsten Schichten weiter herunter. Was soll also die Bemerkung, daß wir die Emigranten nicht erwähnen würden? Heute befinden sich die Emigranten in Deutschland im gesamten sozialen Spektrum, als Arbeiter, Arbeiteraristokratie, Kleinbürger, unter den Heruntergekommenen, schmutzigen Dealern, Schiebern und auch längst unter der Bourgeoisie. Die Zeit, als man "Ausländer" noch weitgehend mit "unterer Arbeiter am Fließband" gleichsetzen konnte, sie ist seit über 20 Jahren vorbei. Der tiefe Riß innerhalb der Arbeiterklasse geht vor allem zwischen den lang ansässigen gestandenen Arbeitern und den neuhinzugekommenen Arbeitern, etwa aus Osteuropa, aber auch aus vielen anderen Ländern, und auch bestimmten Schichten der deutschen Werktätigen, die zum Teil für die niedrigsten Löhne arbeiten. Auch diese werden von "Energiesparmaßnahmen" stark betroffen sein. 

Schließlich noch einiges zur allgemeinen Charakteristik, die zu unserer Stellungnahme abgegeben worden ist. Man muß berücksichtigen, daß wir heute eine sehr schwache Arbeiterklasse, faktisch ohne eigene Interessenvertretung und sogar bisweilen ohne eigenen politischen Willen, im Lande haben. Die Umstrukturierungen und Verlagerungen der Produktion haben ihre Konsequenzen gehabt. Die Stellung der Arbeiterklasse und auch aller übrigen Klassen ist viel mehr vom internationalen Zusammenhang geprägt, als es bisher der Fall war. Wir können keine abstrakten Appelle an die Arbeiterklasse richten, die im Leeren verhallen. Die Betrügereien des Systems stoßen auf den Widerstand sehr breiter Bevölkerungskreise, es ist kein Spezifikum der Arbeiterklasse. Wenn wir diesen Betrug angreifen, dann helfen wir auch der internationalen Revolution. Es ist typisch für gewisse Trotzkisten, daß sie gerade solche konkreten Schritte angreifen.

Wir können den Autor nur auffordern, uns zu zeigen, wo denn unsere Einschätzung der materiellen Lage in unserem Land und in internationaler Hinsicht widerspricht. Die Übereinstimmung mit der Wirklichkeit ist doch das entscheidende Kriterium. 

Schließlich ist es ganz und gar unzureichend, die Grünen nur als Bourgeoispartei darzustellen. Sie markieren doch diejenige Seite der Bourgeoisie, die die Arbeit auf dem niedrigsten Niveau behalten und sogar zurückziehen wollen. Die revolutionäre Entwicklung der Produktivkräfte bedroht doch die Herrschaft der Bourgeoisie selbst. Was anderes drücken die Grünen aus als die extremistische Position, diese Entwicklung aufzuhalten? Die bürgerliche Herrschaft hat selbst ein ambivalentes Verhältnis zur Technik, denn sie kann ohne Wachstum gar nicht existieren. Das ist nicht neu. Es findet sich schon bei Marx., aber heute haben wir das noch viel weitgehender. Der Fanatismus der Bourgeoisie und der anderen überholten Klassen führt dazu, die Zivilisation zu verneinen, eine prinzipiell pessimistische Stellung einzunehmen, und schließlich den Menschen überhaupt zu verunglimpfen.

Gruppe Neue Einheit
2. Okt. 1998