Internet Statement 2001-32

 

Ein recht offener Kommentar zur Mazedonien-Intervention

In einem Gastkommentar, der in "Die Welt" vom 5.Juli 2001 unter dem Titel "Warum Mazedonien wichtig ist" erschien, entwickelte der bekannte US-amerikanische Publizist und sog. Balkanexperte Robert D. Kaplan einige strategische Gedanken zum Mazedonien-Konflikt aus der Sicht des USA-Imperialismus und der Expansionspläne der NATO. Da hier mit ungewöhnlicher Offenheit gesprochen wird, sind diese Ausführungen interessant zur Beurteilung der NATO-Intervention in Mazedonien und werden hier auszugsweise zitiert:

"Die Auflösung Mazedoniens ist eine Krise von großer strategischer und historischer Tragweite. Was heute in den unansehnlichen Straßen mazedonischer Dörfer geschieht, hat unmittelbare Auswirkungen auf die Nato-Erweiterung.
In den kommenden Monaten wird das Kabinett Bush mit den Vorbereitungen auf den Nato-Gipfel von Prag 2002, den ersten in einem früheren Ostblockland, die Weichen für die zweite Erweiterung der Allianz seit 1989 stellen. Zunächst kamen Polen, Ungarn und Tschechien in das Bündnis. Diese Länder gehörten historisch zum katholisch-protestantisch geprägten Zentraleuropa, und deshalb hatte dieser Schritt etwas Folgerichtiges.
Die nun anstehende Erweiterung indes, so sie wirklich kommt, könnte für die Zukunft Europas bei weitem wichtiger werden. Denn sie spiegelt weniger historische und kulturelle Trends als vielmehr die Vision einiger weniger Akteure. Und der schmutzige kleine Krieg zwischen kriminellen albanischen Guerilla-Gangs und einer deprimierend schwächlichen mazedonischen Regierung ist gerade im Begriff, die Optionen dieser Akteure zu formen und einzuschränken. Man kann wohl kaum für den Nato-Beitritt Rumäniens und Bulgariens plädieren, während nebenan der Ausbruch eines ethnischen Krieges hingenommen wird - in einer Region, die viele als das "historische Westbulgarien" betrachten.
Die Nato hat eigentlich zwei Optionen. Sie kann entweder ihre Erweiterung auf Slowenien, die Slowakei und einige baltische Länder beschränken. Dann würde die europäische Landkarte in etwa derjenigen des mittelalterlich-christlichen Westens entsprechen, mit der orthodoxen Welt draußen vor den Toren. Diese Zivilisationsgrenze würde rasch diejenige des Kalten Krieges ablösen.
Oder die Nato expandiert auch in Richtung Rumänien und Bulgarien, zwei orthodoxe Länder am Rande des jugoslawischen Kessels. Diese Option würde nicht nur bedeuten, dass Jugoslawien mit stabilen demokratischen Staaten umrahmt würde. Sie führte auch zu einem Europa, das die Bezeichnung facettenreich wirklich verdiente."     [Hervorhebungen von uns]

Er führte weiter aus, daß seiner Meinung nach die ehemals unter dem Einfluß der Sowjetunion stehenden Länder besonders geeignet seien, weil dort die pro-amerikanische Strömung stärker sei als in Westeuropa. In Westeuropa sei dagegen die Bevölkerung "durch Sozialsysteme verwöhnt worden" und habe daher "ihr Empfinden für Tragik verloren" und sei so zu einer "realistischen" außenpolitischen Anschauungsweise nicht mehr fähig.

Außerdem meint Kaplan:

"Hinzu kommt, dass ein kleineres, kulturell einheitlicheres Europa vergleichbar der heutigen EU viel stärker dazu tendiert, eine Vision des Westens zu entwerfen, die der amerikanischen entgegensteht."

Schließlich gewönne die "Allianz" so einen Zugang zum Schwarzen Meer, meinte er, und weiter:

" Solange Südosteuropa nicht unter den westlichen Schutzschirm kommt, sind diese Staaten für russisch gesponserte Subversion anfällig. Rumänien und Bulgarien in das Bündnis zu holen würde russischen Aspirationen in dieser Gegend einen Dämpfer aufsetzen."

Also auch ein offensives Konzept, das gegen Rußland gerichtet ist, was er natürlich als rein defensiv hinstellen muß. Auch das Folgende sollte genau gelesen werden:

"Eine strategische Vision bleibt aber nur Gedankenspiel, wenn das frühere Jugoslawien mit mildtätiger Distanz behandelt wird. Die humanitären Krisen dort hatten immer eine besondere Dimension - nicht weil sie in Europa stattfanden und Weiße betrafen, sondern weil sich mit ihnen Macht- und Strategiefragen verbinden, die in Ruanda oder Osttimor keine Rolle spielen. Die (verspätete) Intervention Clintons in Bosnien war ein Katalysator in der Debatte über die Nato. Sie war mit ausschlaggebend dafür, dass die Fragestellung sich von "Wozu noch die Nato?" zu "Soll die Nato erweitert werden?" wandelte." [Hervorhebung von uns]

Am Ende des Kommentars heißt es in Befürwortung der NATO-Intervention:

"Mazedonien und die künftigen Grenzen der Nato sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Wenn Washington und Brüssel dort nicht entschlossen handeln, könnte das darin münden, dass Skopje beiden seine eigene Tagesordnung in einer Weise aufzwingt, von der sich heute kaum jemand eine Vorstellung macht."    [Hervorhebung von uns]

Ein Kommentar, in dem derartig offen zugegeben wird, wie sehr es um imperialistische Ziele der USA, um Anbindung der Europäer an ihre Interessen, um das Hineinziehen in ein strategisches Konzept und in eine Einkreisungspolitik gegen Rußland geht, verdient allerdings beachtet zu werden.

Wassili Gerhard,   24.8.2001