Internet Statement 2004-72

Siehe dazu auch:
Wer ist Juschtschenko?


Die ukrainischen Wahlen und der Westen

In der Ukraine ist im Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen ein offener Machtkampf ausgebrochen  zwischen dem bisherigen Regime Kutschma mit dem Präsidentschaftskandidaten Viktor Janukowitsch und einer sog. Opposition unter der Führung von Viktor Juschtschenko, die mit massiver Unterstützung aus der EU und den USA fest entschlossen ist, die Regierung durch Demonstrationen, Streiks, durch Herüberziehen von wichtigen Teilen der Sicherheitskräfte auf die eigene Seite, durch Druck des westlichen Auslands und entsprechende Medienkampagnen zu Fall zu bringen.

Die Bevölkerung solle Bahnstrecken, Autobahnen und Flughäfen blockieren sowie Gebäude der Staatsführung umzingeln, forderte Juschtschenko seine Anhänger am 24.11. auf. Obwohl die Regierung demgegenüber erklärt hat, sie werde keine Gewalt gegen Demonstranten anwenden, sind viele Beobachter besorgt über die Gefahren von Zusammenstößen bis hin zu bürgerkriegsartigen Zuspitzungen, die mit einem solchen Vorgehen der Opposition verbunden sind.

Ebenso wie für den Westen unabhängig vom tatsächlichen Wahlausgang feststeht, daß die Opposition an die Regierung kommen muß, steht auch vorweg fest, daß die jetzige Regierung Wahlbetrug angewendet habe, was angeblich die Opposition zu allem berechtigt. Wie ernst das Bemühen um ein objektives Wahlergebnis in Wirklichkeit ist, sieht man schon daran, daß Juschtschenko sich bereits in einer lächerlichen Zeremonie vor einem beschlußunfähigen Parlamentsteil, der aus seinen Anhängern bestand, als "Präsident" hat vereidigen lassen. Und aus dem Westen erfolgt eine Drohung nach der anderen gegen die Ukraine, sollte sie den gewünschten Umschwung nicht sofort akzeptieren.

Vieles erinnert an den Umsturz in Jugoslawien im Okt. 2000, als dem schwer kriegsgetroffenen Land von den NATO-Mächten ohne Umschweife erklärt wurde, daß bei der Präsidentenwahl die Regierung Milosevic sofort durch die NATO-genehme Equipe Djindjic- Kostunica zu ersetzen sei, widrigenfalls das Volk mit der zerstörten Infrastruktur eben hungern müsse und keine Kredite bekomme. Teile der Sicherheitskräfte waren bereits im Sinne der Opposition gewonnen worden, und der Widerstand der Regierung gegen ihre Absetzung war von daher paralysiert. Auch die Vorgänge in Georgien, wo die Wut der Massen gegen das Schewardnadse-Regime genutzt wurde, um eine Regierung an die Macht zu bringen, die als aller erste Maßnahme US-Militär ins Land holte, werden von bürgerlichen Kommentatoren selbst als Beispiel genannt.

Wie seinerzeit in Jugoslawien steht auch die Regierung in der Ukraine in der Tat schwach da, weil sie bei großen Teilen der Bevölkerung wegen der miserablen ökonomischen und sozialen Entwicklung, ihres bürokratischen Ausbeutersystems und ihrer brutalen Undemokratie abgelehnt wird. Man kann sie in der Tat nicht verteidigen, genausowenig wie man die inneren Zustände Rußlands verteidigen kann, dessen Regierung für die Erhaltung eines verwandten Systems in der Ukraine kämpft. Wofür aber steht die sog. Opposition? In Jugoslawien brach das ökonomische Elend mit der Regierung Djindjic erst recht über die Bevölkerung herein, die Infrastruktur und Industrie befinden sich in immer größerem Verfall, das Bandenwesen hat viel größere Machtpositionen als zuvor erreicht, und die Abtrennung des Kosovo zugunsten der NATO-Stützpunkte und der albanischen Kriminellenregierung wird weitergetrieben. Man kann der Ukraine mit Sicherheit eine ähnliche Wendung voraussagen für den Fall, daß sich die sog. Opposition durchsetzt, denn das ist eben der Charakter der Kräfte, die der Westen in solchen Ländern aus dem früheren revisionistischen Bereich, die er sich mehr oder weniger angliedern will, an die Regierung bringt.

Ein Kommentar des "Handelsblatts" wurde deutlich:

"Doch die EU und Deutschland haben sich lange geschämt, offen von Interessen, von geopolitischen gar, zu reden. Erst jüngst hat sich das geändert. Ein rohstoffabhängiges Europa hat eigene Interessen. Zum Durchsetzen dieser Interessen muss man nicht wie Amerika Kriege in Ölförderländern führen. Wohl aber muss man stabile Partner haben oder schaffen."

Ja, man schämt sich in der Tat nicht mehr. Die Forderung, daß aus Gründen der Rohstoffversorgung die Ukraine politisch an die EU anzugliedern sei, daß die Abhängigkeit des Landes von Rußland gebrochen werden müsse, daß eine Opposition geschaffen werden müsse, die dazu das Werkzeug ist, ist die Proklamation nackter Großmachtpolitik nach dem Modell und in einer Koalition mit den USA. Demgegenüber wirken die ausländischen Einflußnahmen, die dem heutigen Rußland vorgeworfen werden, ziemlich mickrig.

Sollte die Entwicklung tatsächlich so verlaufen, stehen der Bevölkerung der Ukraine schmerzhafte Jahre bevor, in denen sie genauer erfahren wird, daß dieser "Westen" unter Demokratie noch stärkere Unterdrückung und wirtschaftliche Ausquetschung des Landes versteht. Es wird bald klarwerden, daß hier mit dem Geschrei von Wahlen, Demonstrationen und Streiks eine Lage herbeigeführt werden soll, in der Wahlen, Demonstrationen und Streiks am nackten Elend und der Vergewaltigung der großen Mehrheit nichts Wesentliches mehr ändern werden können, die dann erst recht einziehen.  

Sollte die Opposition an die Regierung gelangen, würden NATO-Mächte Rußland aus dem entscheidenden Regierungseinfluß der Ukraine verdrängen, was zu den erklärten Zielen gehört. Rußlands Lage würde ernsthaft prekär, die militärischen Spannungen in der gesamten Region südwestlich und südlich Rußlands und die innere Instabilität der Ukraine selbst würden zunehmen.

Man sollte aber noch über einen weiteren Punkt sich ganz sachlich Rechenschaft ablegen: Die Gegensätze zwischen den USA und denjenigen europäischen Ländern, die sich der Hegemonie der USA zu entwinden versuchen, werden gerade wegen solcher gemeinsamer Abenteuer weiter wachsen. Auch wenn jetzt Vertreter der EU, darunter recht wortstark Deutschland und insbesondere Fischer, mit der Regierung der USA bei der Einwirkung auf die Ukraine am gleichen Strang zu ziehen scheinen und dieselbe Opposition unterstützen. Beide Seiten werden im Einfluß auf die Ukraine in Wirklichkeit verschärft rivalisieren, werden ihre Positionen dort auf Kosten des Partners auszubauen versuchen und die Ukraine in der weiteren Entwicklung als Posten im Kampf gegeneinander benutzen. Die Gegensätze zwischen europäischen Mächten wie Deutschland und seinen engeren Partnern in der EU einerseits, den USA andererseits wegen des entscheidenden Einflusses in der Ukraine und dem gesamten Raum haben jede Menge Potential, sich zu größeren Konflikten zu mausern.

Wenn das "Handelsblatt" die Hoffnung auf „stabile Partner Deutschlands“ und der EU in der Ukraine ausdrückt, spricht das nicht gerade für Realismus. 

Der relativ plötzliche, aber um so heftigere Ausbruch der Spannungen um die Ukraine zeigt, wie auch andere aktuelle internationale Vorgänge, an, daß gegenwärtig wichtige Dinge in Bewegung sind, daß verschärft gekämpft wird, wenn auch derzeit einiges noch verdeckt ausgefochten wird, daß man mit größeren Zusammenstößen und Krisen rechnen muß. Es ist zu hoffen, daß die ukrainische Bevölkerung die verschiedenen internationalen Kräfte in ihrem Wesen genauer kennenlernt und die Auseinandersetzungen in ihrem eigenen Interesse zu nutzen und zu lenken lernt, wie auch im Sinne der internationalen Bewegung für Demokratie, des internationalen Zusammenwirkens der Arbeiter gegen  die imperialistischen Machenschaften und das verfaulte Erbe des ehemaligen  Revisionismus.

Red NE, Walter Grobe
24.11.04

 

 

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