Internet Statement 2005-05

 

Zur Irakfrage heute- anläßlich der Vorbereitung einer Irak-Solidarität

Welche Erfahrungen bringt die Bundesrepublik bezüglich der Pax Americana?

15.Januar 2005

Der Irak ist von den USA und ihren Bundesgenossen besetzt worden, und sie spielen das scheußlichste Spiel innerhalb des Irak. Erstens versuchen sie, eine Lakaienregierung einzurichten, die ihnen gar nicht genug unter Kontrolle stehen kann, zweitens operieren sie mit den islamischen Fundamentalisten im Lande, um das Land zu zersplittern und möglicherweise in einen jahrzehntelangen zerstörerischen Bürgerkrieg zu führen. Dabei werden die industriellen und agrarischen Grundlagen des Irak zerstört und das Land zu einem Bettler, einem Empfänger von Hilfe von außen gemacht, und allenfalls die Ölquellen für die USA erschlossen, d.h. da wird die Nation zerstört. Diesen Prozeß der Zerstörung der Nation nennen die USA "nation building".

Warum ist die bundesrepublikanische Erfahrung wichtig für die Irakfrage, was hat das miteinander zu tun?

Die Bundesrepublik ist auch so ein Staat, der vom US-Imperialismus kreiert worden ist. Alle Strukturen der Bundesrepublik, politische Parteien, Presse, Gewerkschaften etc. sind letztlich unter der Fuchtel der angelsächsischen Imperialisten hier entstanden und stehen noch immer wenigstens teilweise unter deren Kontrolle. Aber die USA haben ihre Erfahrungen gemacht mit der Bundesrepublik. Anfänglich hat sich die Bundesrepublik angepaßt, Adenauer mußte ducken gegenüber den USA, aber gleichzeitig wurden unter diesen Strukturen, die eigentlich für die USA arbeiten sollten, allmählich Regungen wach, sich von den USA zu lösen, und in den 60er Jahren war es so weit, daß man sagen konnte, die Bundesrepublik war so stark, daß die Kontrolle sich allmählich lockerte. Man hat dann zwar andere Kräfte wie Brandt etc. an die Macht gebracht, die bspw. den Atomwaffensperrvertrag unterschrieben, eine Bündnispolitik mit damals beiden Supermächten versuchten und eine halb-und-halb-Politik gemacht haben, aber man hat insgesamt die Erfahrung gemacht, daß man einen Staat geschaffen hat, den man im weiteren doch nicht ausreichend kontrollieren konnte, obwohl man eine Lakaienregierung eingesetzt hatte. Die Auseinandersetzung geht in diesem Lande bis zum heutigen Tage weiter.

Die USA wissen genau: würden sie jetzt im Irak es bei der Einsetzung einer Lakaienregierung belassen und nicht gleichzeitig innere Subversion betreiben, dann würde derselbe Prozeß auch im Irak einsetzen. Um das zu verhindern, arbeiten die USA zweigleisig im Irak. Auf der einen Seite arbeiten sie mit bestimmten Richtungen eines sog. Widerstands, die u.a. Zivilisten und untergeordnete Polizisten trifft, auf der anderen Seite wollen sie eine Regierung haben, die aus möglichst hundertprozentigen Lakaien besteht. Auf diese Weise können sie alles kontrollieren, wie sie meinen. Eine Unterstützung des irakischen Widerstandes bedeutet auch, daß diese Methodik der USA gegenüber dem Irak aufgedeckt wird. Absolut unvereinbar mit einem Solidaritätsbündnis zugunsten des Irak ist nicht nur die unkritische Unterstützung von Kräften, die an der Lakaienregierung teilnehmen, sondern auch, daß man die islamisch-fundamentalistischen Strömungen stützt und damit Seiten des US-Imperialismus direkt fördert, die sogar zu seinen schwärzesten gehören. Beide Strömungen sind unvereinbar mit Solidarität mit dem irakischen Volk. Man muß die Methodik der USA angreifen.

Ein nicht unwesentlicher weiterer Aspekt ist folgender:

In den USA regiert nach wie vor als eine erhebliche Komponente der christliche Fundamentalismus mit, der in seinem Wesen genauso wie der Islamismus wissenschaftsfeindlich ist. Beide hassen die Entwicklungstheorie, sie hassen die historische Wissenschaft, sie hassen die Archäologie, sie hassen die Aufdeckung der Religionsgeschichte. Mesopotamien ist eine der größten Fundstätten der Archäologie, die zur Aufdeckung der Hintergründe der Religionen, des Judentums, des Christentums, des Islam und aller Religionen wesentlich beigetragen hat. Die archäologischen Entdeckungen Mesopotamiens spielen für die materialistische Geschichtsauffassung eine ungemein wichtige Rolle. Die Zerstörung dieser Stätten ist kein unwesentliches Ziel, das der verbrecherische USA-Imperialismus mitsamt seinen Komplizen im Irak verfolgt, um das historische Gedächtnis der gesamten Menschheit zu schädigen. Dies muß zusätzlich zu den strategischen und ökonomischen Interessen gesehen werden.

Es bedarf kaum eines Kommentars, daß sich hinter der harmlos erscheinenden Losung "Gegen Antiislamismus" der Versuch verbirgt, genau die notwendige Kritik an der gesellschaftlichen Rolle des "politischen Islam" zu unterbinden, und weiter der Versuch, die Aufdeckung der Zusammenhänge zwischen dem Vorgehen der USA und ihrer Verbündeten und der Rolle des Islamismus im Irak wie auch weltweit zu bekämpfen. Dies ist falsch und gefährlich, nicht nur was die Unterstützung des potentiellen Widerstandes im Irak betrifft, sondern auch was die Auswirkungen auf unser Land, wie alle europäischen Länder angeht. Dies fördert den Faschismus durch die Hintertür. Bei einer Irak-Solidarität dieser Art stellt sich die Frage: Solidarität mit wem und mit welchem Ziel.
Das irakische Volk befindet sich in der unglücklichen Lage, zwischen den Resten der militärbürokratischen Saddam-Hussein Diktatur, den islamischen Kräften und der aufgesetzten USA-geführten Besatzungsmacht, die sich die innere Reaktion zunutze macht, eingekeilt zu sein. Unser wichtigster Beitrag zur Unterstützung des irakischen Volkes muß sein, genau dieses ganze politische Gefüge, das den Menschen im Irak ungeheures Leid beschert, anzugreifen.

Im Irak bleibt nichts anderes übrig, als die vielleicht zunächst schwachen und zaghaften Ansätze einer revolutionär-demokratischen Bewegung zu unterstützen und davon ausgehend zu entscheiden, welche Bewegungen und Operationen der übrigen genannten Kräfte jeweils günstige Möglichkeiten eröffnen (Ausnutzung der Widersprüche). Ein Verkauf der reaktionären islamischen Bewegung als progressiv aber, wie das von einer Reihe von Organisationen beabsichtigt ist, ist Betrug. Eine solche Losung kann daher nicht unterstützt werden, und ebensowenig kann ein Gremium unterstützt werden, das mehrheitlich durch entsprechende Kräfte besetzt ist.

Wenn in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts die Arbeiterbewegung im Kaukasus voller Stolz berichtete, daß man den Islam überwunden habe und daß die Frauen berichteten, wie sie früher vom Islam unterdrückt wurden - die Generation unserer Urgroßmütter -, dann soll es uns nicht möglich sein, uns vom Islam zu distanzieren? Allein schon der Gedanke in der anderen Richtung ist Lakaientum gegenüber Reaktion und Imperialismus überhaupt.
Schließlich muß daran erinnert werden, daß auch die deutsche Ultrareaktion seit über hundert Jahren den engen Schulterschluß mit dem "politischen Islam" suchte. In jeder Beziehung gibt es Grund, gegen derartige Versuche aufzutreten.

Redaktion Neue Einheit
-hd

 

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