Internet Statement 2005-93

 

Die Klinikärzte der Charité in Berlin und anderswo haben Unterstützung verdient!

 

Walter Grobe, 29.11.2005

Der Arbeitskampf der angestellten Klinikärzte gegen die extremen Arbeitszeiten und die unbezahlte Mehrarbeit ist berechtigt. Das erklären jedenfalls auch die überwiegende Mehrheit der Medien, viele Beiträge machen die Berechtigung der Forderungen verständlich und kommentieren, jedenfalls dem Anschein nach, unterstützend.

In der Tat sind die geschilderten Arbeitsbedingungen unhaltbar und ein Skandal für das ganze Land. Wenn seit Jahrzehnten Klinikärzte unter der Bezeichung "Bereitschaftsdienst" gezwungen werden, Arbeitstage von bis zu 24 Stunden und mehr voller angespanntester Tätigkeit zu leisten, in denen häufig um Leben zu kämpfen ist, wenn die Kliniken noch nicht einmal verpflichtet werden konnten, angemessene Vergütungen für solche extremen Belastungen zu zahlen und von daher sogar an der Beibehaltung des Systems finanziell besonders interessiert sind, wenn alle öffentliche Kritik verpufft, wenn sogar eine rechtskräftige Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs dagegen aus dem Jahre 2003 von der bisherigen wie von der neuen Regierung der großen Koalition als Wisch behandelt wird, für dessen Umsetzung man angeblich kein Geld habe, dann ist der Arbeitskampf unvermeidlich und sollte von der ganzen Öffentlichkeit bis zum vollen Erfolg unterstützt werden.

Ein paar kritische Worte zu bestimmten Tönen aus Medien-, aber auch Gewerkschaftskreisen sind hier unvermeidlich. Es gibt sowohl einige journalistische Kommentare wie auch Äußerungen aus der Gewerkschaft Ver.di, die behaupten, wenn die Klinikärzte etwas erreichten, gehe dies nur auf Kosten des übrigen Krankenhauspersonals oder verursache den Krankenversicherten bzw. dem Steuerzahler nur noch höhere Aufwendungen. So wird in ganz dubioser Form versucht, eine Gegenfront aufzuziehen.

Diese Darstellung arbeitet mit der lächerlichen Fiktion, das Klinikwesen in diesem Lande sei völlig verarmt, da sei der letzte Cent sachgerecht gebunden, und wer hier mehr Geld fordere, könne dies nur unsolidarisch auf Kosten der übrigen Mitarbeiter bzw. der Patienten tun. Nichts ist weiter von der Realität entfernt. Das Klinikwesen ist wie das gesamte übrige Gesundheitswesen in diesem Lande eine riesige Goldgrube für bestimmte Kräfte, allen voran für die Pharmazie- und Medizintechnikfirmen, aber auch für bestimmte Ärztegruppen und höhergestellte Funktionäre der Verwaltungen und Kassen. Diese konnten gerade in den letzten Jahren Profit- und Gehaltssteigerungen wie noch nie verzeichnen, bei deutlicher Verschlechterung vieler Bedingungen für die Masse der Patienten. Allein die Kosten der Korruption im deutschen Gesundheitswesen werden von verschiedenen Fachleuten auf 20 Milliarden Euro jährlich geschätzt. Privates Kapital versucht mit Heißhunger, die öffentlichen Kliniken in seine Hände zu bekommen, was bestimmt nicht der Fall wäre, wenn es da nichts zu holen gäbe.

Und schließlich haben die sog. Gesundheitsreformen der letzten Jahre dieses ganze System der legalen wie illegalen Goldgruben nicht etwa reformiert, sondern verteidigt und befestigt, zu Lasten sowohl der angestellten Ärzte wie des gesamten angestellten Personals in den Kliniken wie auch der Patienten. Nur die letzten Kriecherlinge dieses Systems im Gesundheitswesen wie auch des politischen Systems dieses Staates können auf die Darstellung verfallen, die Mittel, die für die notwendigen Einstellungen von Klinikärzten wie auch für angemessene Vergütungen erforderlich sind, müßten von den Krankenpflegekräften und den Putzkolonnen aufgebracht werden. Wer sich so äußert, will nur eines: daß die Absahner von vielen Milliarden auf ihren oberen Ebenen und ihr ganzes System unbehelligt bleiben.

Es ist eine Schande für eine Organisation wie Ver.di, wenn sie als ganze sich aus der Unterstützung dieses Kampfes verabschiedet und es sogar zuläßt, daß aus ihren Reihen die Klinikärzte in dieser Weise angegriffen werden. Der Marburger Bund, die gewerkschaftliche Vertretung der Klinikärzte, hat vor kurzem Ver.di die Vertretung in seinen Tarifauseinandersetzungen entzogen und führt den Kampf selbständig. Was bleibt ihm denn anderes übrig, wenn diese Gewerkschaft über Jahrzehnte in diesen Dingen völlig versagt hat und nicht einmal mehr zu verbaler Unterstützung der Forderungen bereit ist? Dieser Staat und auch die jetzige große Koalition planen, der Gesellschaft in den nächsten Jahren Dutzende von Milliarden für die irrwitzige Förderung sog. erneuerbarer Energien abzuknöpfen. Für Windräder und ähnliches ist das Geld offenbar da, und das wird von den Apparaten in ver.di wie in allen übrigen Gewerkschaften verbissen mit gefordert, während die eigenen Mitglieder mit immer größeren Härten vorlieb nehmen sollen, ob ärztliche oder pflegerische Angestellte oder sonstige Arbeitskräfte in den Kliniken. Wenn jetzt eine einzelne Berufsgruppe, die eine Schlüsselstellung hat und besonders hart durch die Entwicklung getroffen wurde, sich aktiv dieser Politik entgegenstellt, dann hat das erst einmal mit Standesinteressen ziemlich wenig zu tun. Man kann nur hoffen, daß andere es ihr nachtun und auf diese Weise wirkliche gewerkschaftliche Solidarität zustande kommt.



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