Internet Statement 2006-104

Fortsetzung des 1.Teils von Oktober 2005  

3. Teil und Gesamtartikel


Am 24. Oktober 2005 veröffentlichten wir das erste Kapitel einer Analyse „Die Verhandlungen der europäischen Union mit der Türkei - Symptomatisches über Machtverhältnisse und ihre Ursprünge“ von Hartmut Dicke, die die im Oktober 2005 hervortretenden Widersprüche im einzelnen analysierte. Ein 2. Teil, der die inneren Widersprüchen im Lande in diesem Zusammenhang zu analysieren anstrebte, wurde angekündigt. Dieser erscheint nun. Die Komplexität der Fragen machte eine wiederholte Befassung seitens des Autors notwendig. Der Gesamtartikel einschließlich des abschließenden 3. Teils ist in der Zeitschrift NEUE EINHEIT 2006 erschienen.      Redaktion Neue Einheit                        


 

Die Verhandlungen der europäischen Union mit der Türkei

            Symptomatisches über Machtverhältnisse und ihre Ursprünge (II)

Hartmut Dicke          
23. Dezember 2006
  

 

Kapitel 2

Zu den Hintergründen: Die türkische soziale Frage in Deutschland

Die Frage des Türkei-Beitritts steht in einem ganz engen Zusammenhang mit den inneren Verhältnissen der EU. Es wurden zahlreiche Argumente bezüglich der Probleme bei einem Beitritt vorgebracht. Welches sind die zu erwartenden Auswirkungen der Integration der auf einem verhältnismäßig niedrigen Niveau befindlichen türkischen Landwirtschaft mit Dutzenden Millionen armer Bauern? Wie soll die verhältnismäßig große, in ihrer ländlichen Struktur auf einem anderen Entwicklungsniveau befindliche türkische Gesellschaft in der europäischen Union integriert werden, wenn noch nicht einmal viele osteuropäischen Länder integriert sind? [1]

Bei alledem tauchte bereits die Frage auf: Aus welchem Grund üben die USA seit Jahrzehnten Druck auf die EU für eine Aufnahme der Türkei aus? Und es wurde, wie im ersten Teil gezeigt, darauf in der Presse klar geantwortet: die USA verfolgten dies, um ihre eigene Position zu stärken und um Europa weiterhin kontrollieren zu können. Wieso aber soll der Beitritt eines Landes, sogar eines verhältnismäßig großen, einen Machtverlust im Vergleich zu den USA beinhalten?  Auf den ersten Blick und ohne die inneren Faktoren zu betrachten, müßte es doch eigentlich gegenteilig sein.

In allen west-, mittel- und nordeuropäischen Ländern spielen seit 30 Jahren die Fragen der Umstrukturierung der Produktion, der Veränderung in der Zusammensetzung der Arbeiterklasse und  schließlich der Produktionsverlagerungen in andere Gebiete eine dominante Rolle. Alle Gesellschaften, egal ob Deutschland, die Niederlande, Schweden oder Frankreich, haben gleichzeitig tiefe Umschichtungen in der Zusammensetzung der Bevölkerung  durchgemacht. In keinem Land aber spielen sie eine so gravierende Rolle wie in Deutschland, bei dem sie zugleich mit einer langwährenden  Reduzierung der eigenen Bevölkerung einhergehen. Sie gehen einher mit einer ökonomischen und kulturellen Politik, die die eigene Reproduktion massiv behinderte und zugleich die gezielte Zuführung von Menschen aus anderen Regionen ganz heterogener kultureller  Zusammensetzung begünstigte.

In den vergangenen Jahrzehnten wurden von der Bundesregierung erhebliche finanzielle Mittel aufgewandt, um die Länder und Regierungen Osteuropas anzuregen, den Exodus sogenannter Volksdeutscher, die seit Jahrhunderten ein Teil der Bevölkerung dieser Länder bildeten und  ein  Teil der Kultur dieser Länder waren, „zurück“ in die Bundesrepublik zu fördern. Auch der Asylstrom in den 70er bis 90er Jahren war zu einem erheblichen Teil willkommen, um das Potential an geringausgebildeten Arbeitskräften aufzustocken. Auf anderen Sektoren wurden damit neue Schichten des Kleinbürgertums und des Lumpenproletariats gebildet. Schaut man sich die Politik an, so sieht man ein sehr gezieltes Vorgehen des Kapitals bei der Sektionierung der Gesellschaft, dem Ausspielen der Nationalitäten untereinander und dem Vorgehen gegen das „eigene“, das heißt bereits vorhandene Volk. Druck auf den eigenen Nachwuchs und zugleich die Förderung einer bestimmten Form von Zuwanderung, sowie eine 30jährige [2] Debatte darüber, wie man das „richtig“ zu gestalten habe, sind jedenfalls kein Zufall.

Innerhalb dieses über drei Jahrzehnte laufenden Vorganges spielte die Zuwanderung aus der Türkei keineswegs eine ausschließliche Rolle, aber sie spielte die Rolle eines Kettengliedes.

In den sechziger bis Anfang der siebziger Jahre war die türkische Zuwanderung eine solche des Proletariats. Die Türkei stellte etwa von 1969 bis 1973 den größten Teil der zuwandernden Proletarier, die in der “lohnintensiven Produktion” eingesetzt wurden; daneben gab es auch große Kontingente jugoslawischer, italienischer, spanischer, portugiesischer und griechischer Arbeiter, aber das türkische Kontingent war ab 1971 bei weitem das größte.

 

In der zweiten  Phase ab 1972/73 begann die Krise dieses Systems. Eine immer größere Unruhe begann sich unter den ausländischen Arbeitern zu verbreiten  was die „Gesellschaftsforscher“ veranlaßte, sich diesem Thema intensiv zu widmen. Ein Teil dieser neuangeworbenen Arbeitskräfte lebte erheblich unter dem Lebensstandard der deutschen und hier langansässigen Arbeiter und Arbeiterinnen, es gab regelrechte geschlossene Heime als Wohngelegenheit für sie. Die Frage der ausländischen Arbeiter wurde Ende 1972 und 73 zu einem der bevorzugten Themen der bürgerlichen Publizistik, was veranschaulicht, daß hier ein Problem gesehen wurde. [3]

Diese Entwicklung  Ende der 60er und Anfang der 70er bedeutete zunächst eine Schwächung der neuen revolutionären Kräfte im Land, da diese  erstmal die neuen Gegebenheiten erkennen und sich dann an sie anpassen mußten. Die nationalen Schranken mußten überwunden werden, und es mußte verstärkt an dem Zusammenschluß aller Arbeiter gleich welcher Nationalität gearbeitet werden. Das Ganze vollzog sich, als die sog. „Baader-Meinhof“-Kampagne die Medien beherrschte, die systematische Anschürung der Hysterie, verbunden mit der Provokation und Repression der damals sehr zahlreichen linken revolutionären Kräfte in der jungen Generation. Im Juli des Jahres 1973 begannen die großen und „wilden“ Streiks der ausländischen Arbeiter, die in ihrer massiven Repression endeten. Die Bourgeoisie war offensichtlich auf diese Bewegung gut vorbereitet und hatte ihre Finger durch Beeinflussung von innen darin. Mit allen Registern der Unterdrückung wurde gearbeitet, mit unmittelbarer Gewalt, durch die Zusammenarbeit mit religiösen Kräften und neuangeworbenen Reformisten, mit denen man diese Bewegung spaltete und  schließlich zum Erliegen brachte.

Im Hintergrund aber lauerte noch eine andere Entwicklung, die von noch viel größerer Bedeutung sein sollte. Von ca. 1970 an gibt es in den bürgerlichen Institutionen eine Diskussion, ob man nicht besser die „Arbeitsplätze zu den Arbeitern in ihren Ländern“ bringen sollte, anstatt die Arbeiter ins Land zu den Arbeitsplätzen. Ab 1973-74 wird von der Bourgeoisie offen diskutiert, große und größte Sektoren der  Produktion aus Europa hinaus  zu verlagern, damals zunächst vor allem nach Osteuropa sowie in verschiedene asiatische Länder, damals vor allem Hongkong und Korea.  Diese Verlagerung zielte noch nicht unmittelbar auf China, dieses war zu diesem Zeitpunkt noch sozialistisch, aber man spekulierte bereits auf einen möglichen Umsturz der grundlegenden Linie, der der Bourgeoisie langerhoffte „Möglichkeiten“ eröffnen sollte. Man begann eine umfassende „Nord-Süd-Verlagerung“, wie es damals hieß. Im Lande selbst läuft parallel die Aufstachelung der Anti-AKW-Bewegung, die ersten bundesweit in den Medien behandelten Aktionen fielen auf den Herbst 1974. Diese Anti-AKW-Bewegung sollte wie ein Katalysator die Produktionsverlagerungen beschleunigen und steht in unzweideutigem Zusammenhang mit diesen Bemühungen. [4]

Diesen beiden Kapiteln, der Ersetzung der deutschen Arbeitskräfte durch ausländische  und schließlich dem langandauernden Kapitel der Verlagerung, wird in unserem Lande bis heute viel zu wenig Augenmerk geschenkt. Sie werden verdrängt, obwohl sie mit der politischen und sozialen Geschichte auf das engste verbunden sind.

Die Entleerung der Länder von der Produktion, die Anhebung und Freisetzung der Arbeiterklasse in diesen Ländern war das erklärte Ziel dieser neuen Maßnahmen.

Die Geschichte der ausländischen Arbeiter ist ein Kapitel mehrerer Nationalitäten, unter diesen aber sollte die türkische nicht nur den stärksten Anteil, sondern auch den beständigsten und den sich kontinuierlich ausweitenden bilden.

Mehrere Hunderttausend Arbeiter ausländischer  Nationalität wurden in der Zeit 1975-76, als die deutsche Ökonomie in eine Krise geriet, abgeschoben oder mit Abfindungen herausgekauft. Von da ab begann sich die ausländische Arbeiterklasse in Deutschland erneut stark zu verändern. Zusammen mit der ökonomischen Entwicklung nahmen nun ganze Nationalitätengruppen unter den Arbeitern wieder ab, so etwa die jugoslawische und spanische. Viele von ihnen gingen in ihre Heimatländer zurück, bauten sich dort eine selbständige Existenz auf oder aber gingen hier in der gesamten Bevölkerung auf, verschwanden somit als „ausländische“ Arbeiter. [5] Die Zahl der türkischen Arbeiter, die auch sehr stark in der Großproduktion beschäftigt sind, hält sich bis 2003 auf einem Niveau von ungefähr 500.000.

Darüber aber entwickelte sich im Laufe der Jahrzehnte ein Überbau, nicht nur ein Kleinhandel, sondern auch eine ausgedehnte religiöse Szene, ein beträchtlicher Teil von unbeschäftigten Jugendlichen, die ein Rekrutierungsfeld  religiöser und rechter Kräfte bilden, somit die Herausbildung einer türkischen Gesellschaft innerhalb der deutschen Gesellschaft mit bestimmten spezifischen Merkmalen. Die Zahl der Wohnbevölkerung steigt im weiteren bis in die 2000er Jahre an. Die Polarität zwischen einem durchaus bestehenden bedeutenden Sockel aus dem Proletariat und der Angestelltenschaft, der ein wichtiges Element der Werktätigen in diesem Lande bildet, und andererseits einer heterogenen, letztlich auch von religiösen Elementen beeinflußten weiteren Szene bildet ein Charakteristikum der türkischen Gesellschaft in der Bundesrepublik. Man kann übrigens an diesen Fakten sehen, welches Gewicht es hat, wenn die türkischen angeblich linken Organisationen hier eine separierte türkische Organisierung betreiben, statt gemeinschaftlich an einer Partei aller Nationalitäten in diesem Land zu arbeiten.

Die türkische Gesellschaft in Deutschland weist also selbst zwei Pole auf, deren einer zusammen mit anderen islamischen Gruppen in Richtung einer separierten, einer Sondergesellschaft sich entwickelt hat und nicht mehr vorwiegend von dem Element des türkischen Proletariats beherrscht ist, sondern von kleinbürgerlichen und freigesetzten wie von klerikalen Elementen. Die Freisetzung von Arbeitskräften und Arbeitslosigkeit durch den Kapitalismus in diesem Land, wirkt sich auch auf die türkische Gesellschaft aus. Gerade unter türkischen Jugendlichen, die keine Zukunft in der „Arbeitsgesellschaft“ mehr sehen, die zu den Freigesetzten gehören, greift eine Art Anarchismus um sich, Verwahrlosung oder auch der islamische Fundamentalismus finden hier ein weiteres Feld.

Diese Sondergesellschaft bot generell vor dem sozialen Hintergrund ein Einfallstor für türkische Rechte und Fundamentalisten, die seit den sechziger Jahren die türkische Emigration begleiteten und sogar die Unterstützung der deutschen Behörden hatten, weil sie als Kontrollinstrument gegenüber den türkischen Einwanderern eine Rolle spielten.

Die türkische Einwanderung in die westeuropäischen Länder und gerade in die  Bundesrepublik spielt in der Frage der Homogenität und des Zusammenhangs dieser Gesellschaft eine fundamentale Rolle. Von daher begreift man, warum der Beitritt so brisant  und so problematisch ist. Es ist weniger der Zustand in der Türkei, der das Problem bei diesem Beitritt bildet, als die Verhältnisse in den west- und mitteleuropäischen Ländern selbst, die diese Brisanz bestimmen. Und zwar gilt dies am meisten für die Bundesrepublik Deutschland.

Die türkische Separatgesellschaft ist der Hauptstützpfosten der Segmentierung der früheren einheitlichen, durch den Klassenwiderspruch zwischen Bourgeoisie und Proletariat geprägten Gesellschaft. Man beschreibt die Segmentierung auch beschönigend unter dem Begriff “multikulturelle Gesellschaft”.

Die Segmentierung der Gesellschaft, d.h. das Auseinanderreißen einer bürgerlichen Gesellschaft nach Nationalitäten und religiösen Gruppen, würde das Ende einer Gesellschaft  bedeuten, die insgesamt nach vorne strebt und von einem Geist des Umbruchs geprägt ist, wie er 500 Jahre lang die europäische Geschichte beherrschte.

Diese Segmentierung aufzulösen, ist eine der vorrangigen Aufgaben einer jeden revolutionären Organisation. Aber hier hapert es ganz erheblich. Schon die Produktionsverlagerungen wurden, obwohl offenkundig und in ihren Auswirkungen unübersehbar, jahrzehntelang von sogenannten linken Organisationen ignoriert, die Anti-AKW-Kampagne wurde massiv unterstützt. Die sozialen Fragen, die sich aus der Segmentierung ergeben haben, wurden nicht behandelt, allenfalls sehr allgemeine Sprüche geklopft wie, daß die Arbeiter aller Nationalitäten „eine Kampffront“ bilden sollten,  obwohl im konkreten gerade dem entgegen gearbeitet wurde.

Das  Problem besteht darin, daß die Segmentierung der Gesellschaft die Dinge auseinanderreißt und dann sowohl die deutschen als auch die türkischen Arbeiter unter den Bedingungen der Produktionsverlagerungen ihre Arbeit verlieren. Notwendigerweise stellt sich die Aufgabe, daß sich die arbeitende Bevölkerung deutscher wie auch ausländischer Herkunft gemeinschaftlich um die gesellschaftliche Konzeption, und zwar nicht nur um die allgemeine revolutionäre, sondern auch um die politische und soziale Konzeption der bürgerlichen Gesellschaft kümmern muß. Sie sind heute wie die Arbeiter aller Nationalitäten dieses Landes (und ebenso in anderen europäischen Ländern) erstmal Bestandteil des riesigen internationalen Proletariats, das heute auf allen Kontinenten existiert, und sie sind innerhalb eines Landes vor dessen spezielle Aufgaben gestellt. Arbeiter, Werktätige oder Intellektuelle türkischer Herkunft können sich grundsätzlich genauso um die gesamtgesellschaftlichen Belange eines europäischen Landes kümmern wie solche deutscher oder anderer Herkunft, wenn sie sich vor dem internationalen Hintergrund als Bestandteil dieser Gesellschaft  begreifen und sich mit ihren aus ihr entspringenden politischen Aufgaben identifizieren. Derlei Ansätze unter den Organisationen sind rar gesät, von der türkischen Linken in Deutschland werden sie weitgehend unterlaufen. Die Analyse der Ereignisse bringt also an den Tag, daß die Verbindung der türkischen wie der anderen ausländischen Arbeiter und Angestellten noch in ganz anderer Weise gesucht und betrieben werden muß. [6] Die dagegen aufgerichteten Schranken, insbesondere die Separatorganisierung, müssen verschwinden.

Bei gewissen türkischen Chauvinisten wurde die gegebene Situation der Spaltung  und Lähmung der Arbeiterorganisationen ausgenutzt, um unverhohlen die Unterwanderung und das rassistische Vorwärtsstreben in Form einer ständigen Ausweitung ihres Bevölkerungsanteils innerhalb der  Gesellschaft voranzutreiben. Innerhalb der türkischen Gesellschaft in der Bundesrepublik setzten sich Fundamentalisten fest, gestützt sowohl auf die Duldung seitens bundesdeutscher Behörden wie auch türkischer Behörden, die ihrerseits eine entsprechende  Art von “Migration” förderten.

Seit 1974/75 etwa haben wir also die zunehmend stagnative türkische Gesellschaft in der Bundesrepublik, die sich zahlenmäßig ausdehnt, aber in ihrer gesellschaftlichen Substanz stagniert und zurückgehalten wird.

Zu den Faktoren im Hintergrund zählt auch, daß der ganze Mittlere Osten etwa seit dieser Zeit von den Ölgeldern beherrscht ist und die vermehrten Gewinne aus der Bodenausbeutung es ermöglichen, eine derartige Migration aus dem islamischen Raum zu stützen, um den Fundamentalismus auch im Ausland voranzutreiben. Es ist kein Zufall, daß der Fundamentalismus ausgerechnet in Staaten wie der Bundesrepublik Deutschland sich tief verankert hat und prozentual einen viel größeren Anteil ausmacht als in der Türkei selbst. Er ist schlichtweg ein Mittel der Konterrevolution und Reaktion. Revolutionäre Organisationen, die das ignorieren, sind keine. Nur wenige türkische linke Organisationen greifen diese Problematik wenigstens am Rande auf. Es ist keine türkische linke revolutionäre Reflexion der Rolle und der Entwicklung der türkischen Gesellschaft in den west- und mitteleuropäischen Gesellschaften bekannt. Im Ausland tätige linke und revolutionäre türkische Organisationen müßten sich mit den im Ausland existierenden Faktoren der Reaktion auseinandersetzen, ansonsten können sie noch nicht einmal ansatzweise eine Funktion als revolutionäre Organisationen innerhalb der westlichen Staaten einnehmen.

 

III.

Wenn in der Türkei eine Regierung des Fundamentalismus an der Macht ist wie die von Erdogan, wenn diese Türkei auch noch mit dem Nachdruck der US-Supermacht in die EU-Anwärterschaft geschoben wird, wenn weiter die Quellen des türkischen Chauvinismus und Fundamentalismus innerhalb der westeuropäischen und mitteleuropäischen Staaten in keiner Weise gebremst oder kritisiert, sondern gefördert werden, wenn weiter diese Staaten selbst sich in einer relativ starken Abhängigkeit von den USA befinden und wir es gerade, wie im Fall der  Bundesrepublik Deutschland, mit einer negativen Bevölkerungsentwicklung zu tun haben, dann ist es selbstredend, daß  beim Türkeibeitritt die eigentliche Brisanz in dieser Frage liegt.

Es gibt unweigerlich in der gesamten  internationalen Verflechtung immer mehrere Gründe warum die USA einen solchen Druck ausübten, aber die Stärkung der hier genannten innenpolitischen Umstände dürfte ein ganz essentielles Motiv gewesen sein.

Es war interessant, wenn anläßlich des Wahlkampfes die konservative Partei auch nur aus taktischen Gründen und vordergründig etwas über Migration sagte, ganz flach und ohne tiefer auf den Kern vorzudringen, dann schrieen eine Reihe von Kräften des anderen Lagers, es sei unanständig, dieses in den Wahlkampf zu bringen oder es sei sogar rechts, diesen Punkt auch nur anzusprechen. Dies zeigt  die Empfindlichkeit, die in dieser  Frage existiert, insbesondere bei solchen Kräften wie der Sozialdemokratie und selbstredend den Grünen, die in besonderem Maße als Stützen dieser Politik aufgetreten sind.

Rechts ist es, wenn man die Segmentierung innerhalb dieser Gesellschaft vorantreibt, wenn man den Rassismus, den Chauvinismus und die Reaktion subversiver Kräfte duldet und fördert und der Aufwiegelung der verschiedenen Nationalitäten gegeneinander damit Vorschub leistet! Genau das ist es, was die maßgeblichen Parteien über dreißig Jahre lang massiv betrieben haben, wobei die SPD und die Grünen seit den achtziger Jahren sogar als besondere Voranreiter in Erscheinung getreten sind.

In dieser Frage ließ sich also lange das Folgende beobachten: die konservativen Parteien sprechen gewisse Punkte im Zusammenhang mit der türkischen und islamischen Einwanderung an; dann tönt es von der Sozialdemokratie als Vorwurf zurück, sie wollten dies in den Wahlkampf einbringen und dies sei unanständig. Zumeist bleibt es auch bei der „Drohung“ und keine wesentlichen politischen Initiativen werden in Gang gesetzt. Es war nur ein Gespiele in dem Poker zwischen den herrschenden Parteien.

Die  Stellung der konservativen Parteien in dieser Frage ist doppeldeutig. In der anfänglichen Phase haben sie diese Form der Migration aktiv mit gefördert und haben auch die reaktionären Strukturen mit begünstigt, das heißt die Ersetzung der bisherigen Arbeiterklasse in den großen Fabriken und in den schlecht bezahlten Jobs etwa des Gaststätten- und Hotelgewerbes. Die reaktionäre Aufwiegelung durch Vertreter des Islam, wie sie seit zwanzig Jahren und mehr existierte, wurde auch von ihnen geduldet. Das Vorgehen dieser Parteien hat daher etwas mit taktischem Kalkül zu tun, und auch damit, daß man eine allzu weitgehende Zuspitzung in der Frage vermeiden möchte.

Was aber ist die Stellung der Sozialdemokratie dabei, wenn sie erklärt, es sei „unanständig“ solche Fragen innerhalb eines Wahlkampfes auch nur aufzuwerfen? Solche Fragen, die die gesamte demokratische Struktur eines Landes angehen, sollen in Wahlkämpfen nicht behandelt werden dürfen? Das ist nichts anderes als eine Erklärung, daß die Mehrheitsbevölkerung unmündig sei und man diese Fragen vor ihr verbergen müsse. Es zeigt auch die Radikalität, die in dieser ganzen Frage liegt, hinter der die nationale Frage dieses Landes lauert.

 

Auch Anfang Oktober 2005 wurde bei den Verhandlungen zum Türkeibeitritt nicht über die eigentliche innere Problematik gesprochen. Das höchste  in dieser Hinsicht war es, wenn die österreichische Regierung in einer allgemeinen Formulierung von dem Problem der inneren sozialen Bereitschaft der EU sprach, was vieldeutig und mit einem taktischen Kalkül diese Fragen ankratzt. Diese Fragen müssen aber nicht taktisch und mit Hintergedanken angekratzt werden, sondern offen und direkt und in ihrer vielschichtigen sozialen Bedeutung behandelt und besprochen werden. Nur das letztere entspricht den Interessen der überwiegenden Mehrheit einschließlich der Mehrheit der türkischen Bevölkerung selbst. Der Beitritt der Türkei mag ökonomische Probleme wie etwa das des Zustandes der türkischen Landwirtschaft beinhalten. Für solche Probleme kann man sich ökonomische Lösungen vorstellen. Wenn es aber um die Bestrebungen geht, die Segmentierung und die Stagnation innerhalb der westeuropäischen und mitteleuropäischen Gesellschaften über den Umweg der Förderung einer solchen Migration und des Fundamentalismus aufrecht zu erhalten, dann geht es um ganz andere Widersprüche und Konfrontationen.

Migration ist nicht gleich Migration. Die Frage der konkreten Migration und der in ihr dominanten politischen Kräfte wird klarer insbesondere daran, welche Kräfte sich unter den deutschen und türkischen oder anderen islamischen Organisationen zusammenfinden. Es gab schon seit langem das Phänomen: türkische rechte oder islamische Organisationen, mit extrem autoritären und reaktionären politischen Anschauungen und auf dem Gebiet der Ehe und Familie deutlich konservativ ausgerichtet, förderten unter den wahlberechtigten Migranten die Wahl der Grünen Partei, obwohl diese mit ihren „antiautoritären“ Auffassungen in einem deutlichen Kontrast steht. Sie wird gewählt von türkischen Wählern, die in ihrer eigenen Gesellschaft fundamentalistische Erscheinungen dulden, die bspw. die Unterdrückung der Frau innerhalb ihrer Gesellschaft als Selbstverständlichkeit auch in der westeuropäischen Gesellschaft festschreiben wollen.

 Dies geht bekanntlich so weit, daß die Fundamentalisten innerhalb ihrer türkischen Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland längst, schon seit Jahrzehnten, ein System des Terrors entwickelt haben, das die Frauen, aber nicht nur Frauen, unmittelbar bedroht bis hin zur Gefahr des Lebens, soweit sie aus der fundamentalistischen Kontrolle auszubrechen versuchen. Als im Frühjahr 2005 der Mord  an einer deutschen Mitbürgerin türkischer Abstammung in Berlin große Wellen schlug, wurde bekannt, daß mindestens ein paar Dutzend weitere Morde und Mordversuche dieser Art in der jüngeren Zeit erfolgt sind. Wer in diesen Gesellschaften lebt, weiß aus zahlreichen Beispielen zu berichten, welche Art von massivem manuellem Terror gegen Mitglieder der türkischen Gesellschaft  ausgeübt wird, die aus diesen Verhältnissen auszubrechen versuchen. Es gelingt dennoch einer ganzen Reihe von ihnen, und es gibt einen Teil der türkischen Gesellschaft, der zur gesellschaftlichen Mitwirkung auf einer elementaren demokratischen Grundlage bereit ist. Trotzdem bleibt aber, daß die fundamentalistischen Kräfte  innerhalb dieser Gesellschaften in großem Umfange am Wirken bleiben.

Und dieser fundamentalistisch beherrschte Teil hatte keine Scham, bevorzugt die Grünen zu wählen, die mit ihrem Programm bei der kulturellen Degeneration und der Selbstverneinung ihrer Nation an der Spitze standen und die Deindustrialisierung massiv vorangetrieben haben. Zu den Merkmalen dieses Fundamentalismus gehört auch die jahrelange systematische Förderung des Geburtenwachstums der eigenen Bevölkerungsminderheit, bei gleichzeitiger Wahlunterstützung der Grünen, die mit ihrem Programm der  Selbstverleugnung und kulturellen Degeneration der Mehrheitsbevölkerung an  der Spitze stehen. Die Grünen drücken allerdings nur das aus, was für mehrere Jahrzehnte für dieses bürgerliche Regime überhaupt die Grundrichtung war. Nicht umsonst haben alle bürgerlichen Parteien diese Grundelemente übernommen.

Umgekehrt haben die Grünen die besonders ausgeprägte Neigung, mit der sogenannten multikulturellen Gesellschaft zugleich die reaktionärsten Strukturen des Islam zu tolerieren und ihre aktive Ausbreitung zu begünstigen. Wie paßt das zusammen, daß der Fundamentalismus in der einen Gesellschaft rigide am Patriarchalismus und der Familienordnung festhält und zugleich die grünen Richtungen der Pseudoemanzipation, des „Antiautoritarismus“, angeblich gegen jede Herrschaftsform gerichtet, des „Feminismus“ und letztlich des kulturellen Zerfalls in der Mehrheitsbevölkerung unterstützt? Was auf den ersten Blick als widersprüchlich erscheint, paßt dann zusammen, wenn man berücksichtigt, daß beide Kräfte die reaktionären Strömungen in der gesamten Gesellschaft und in den jeweiligen gesellschaftlichen Teilen förderten.

Wenn bei den türkischen fundamentalistischen und chauvinistischen Kräften im Hintergrund überlegt werden sollte, daß die Förderung der Grünen den Zerfall und die Destruktion der westeuropäischen Gesellschaften fördert und ihr eigener Einfluß dadurch wächst, dann müßte man dieses Vorgehen als Subversion bezeichnen, die sich kein Land gefallen lassen sollte und sich kein Land gefallen lassen darf.

Das gleiche gilt auch für die Sozialdemokratie. Die Sozialdemokratie tritt mit einem Programm der “Toleranz”, der Aufklärung und des Verständnisses aller Menschen füreinander auf, so die Phrase. Bei Licht betrachtet zeigt sich aber, wie stark die Sozialdemokratie jahrzehntelang die fundamentalistischen Richtungen in der Praxis förderte. Nirgendwo wurde ernsthaft von ihrer Seite gegen sie vorgegangen.

Und ebenfalls ist interessant, was ganz rechte Parteien auf diesem Sektor machen. Die Neonazis, die die Hetze und das Ausspielen der Völker gegeneinander zum Programm erheben, setzen sich selbst in enger Gemeinschaft mit den türkischen Rechten und Fundamentalisten an einen Tisch, um gemeinschaftlich die Aufhetzung der Nationalitäten gegeneinander zu begünstigen und eine Opposition gegen den bundesdeutschen Staat zu propagieren, die in jeder Beziehung die Gesellschaft vom Regen unter die Traufe kommen ließe. Sie spielen, wie auch schon in anderem Zusammenhange festgestellt, die Rolle eines Provokateurs, der von der Rolle dieses Staates und der ihn tragenden Parteien ablenkt. Die konservativen Parteien haben, wie erwähnt, ebenfalls die fundamentalistischen Kräfte über Jahrzehnte hin begünstigt oder zumindest geduldet.

Wenn eine Gesellschaft wie die deutsche unfähig ist, im eigenen Lande eine solche ultrareaktionäre, provokante und gegen die eigene Kultur gerichtete Kraft wie den Fundamentalismus zu besiegen, dann muß man auf die gesellschaftlichen Hintergründe sehen. Es ist das Interesse des entscheidenden Teils der besitzenden Klasse und ihres internationalen Hintergrundes sowie die zu ihnen gehörenden politischen Kräfte, die dieses in den vergangenen Jahrzehnten ermöglicht haben.

Man braucht nach auffälligen Belegen bei all diesen Parteien nicht weit zu suchen. Man erinnere sich als ein Beispiel an den sogenannten „Kalifen von Köln“, der über Jahre hinweg seinen islamischen separaten Sektor in Köln betreiben durfte, ohne von den Behörden belangt zu werden. Schließlich kam er wegen einer Mordaktion gegen eine rivalisierende Gruppierung zu Fall. Über Jahre konnte er nicht ausgewiesen werden. Schließlich konnte eine Abschiebung auf Grund des öffentlichen Druckes nicht mehr vermieden werden. Wenn diese nur mit Ach und Krach gelingt, dann liegt nicht etwa besondere Rücksichtnahme vor aus Furcht, daß irgendeiner Person im Ausland etwas geschehen könnte auf Grund der Gesetzeslage der Türkei, sondern es war die Rücksichtnahme auf die fundamentalistischen Kräfte, mit denen die herrschenden Kräfte in dieser Gesellschaft paktieren. Schließlich hatte die ganze Angelegenheit soviel Staub aufgewirbelt, daß eine Abschiebung nicht mehr verschoben werden konnte.

Dieser Form von Subversion und Verbreitung von reaktionärer Pestilenz muß in Wirklichkeit der Kampf angesagt werden. Wir haben zum Beispiel auch bei den Verhandlungen um die Frage der Unterstützung des Widerstandes des irakischen Volkes darauf Wert gelegt, daß wir nicht unter dem Deckmantel der Unterstützung des Widerstandes des irakischen Volkes gegen die USA-Besatzung etwa den Fundamentalismus in unserer eigenen Gesellschaft durch die Hintertür stützen. Das wäre in der Tat ein Eigentor. [7]

Als im Oktober 2005 die Verhandlungen liefen, trat auch der bekannte grüne Politiker Cem Özdemir hervor und verlieh gewissermaßen der ganzen Konfrontation Ausdruck. Er beschwerte sich über Österreich und über die Einwände, die von der österreichischen Regierung gegen den türkischen Beitritt vorgebracht wurden. Er erwähnte lobend die Intervention der USA-Außenministerin Rice, die den europäischen Staaten für den Fall drohte, daß sie in den Verhandlungen die Option der sogenannten “privilegierten Partnerschaft” anstelle einer Mitgliedschaft wieder aufnehmen würden. Er betreibt in diesen wichtigen außenpolitischen Fragen eine Politik, die ganz ähnlich ist wie etwa die des Fundamentalisten Erdogan.

 

Die Unterstützung revolutionärer und demokratischer Kräfte in der Türkei ist etwas ganz anderes. Wenn man Kräfte in der Türkei unterstützen will, die sich um die Verbesserung der Lage dort bemühen, muß man das militaristische und fundamentalistische Regime und die Komplizenschaft der europäischen Bourgeoisie sowohl mit der Militärdiktatur [8] als auch mit den fundamentalistischen Kräften, die sich in der Türkei um den Einfluß auf den Staat streiten, bekämpfen. Die unerhörte Unterdrückung revolutionärer Kräfte in der Türkei wird durch diese Art von Beitritt natürlich in keiner Weise bekämpft. Äußerlich werden “Menschenrechte” propagiert, aber in Wirklichkeit werden alle diejenigen, die das kapitalistische System in seiner Substanz kritisieren, von dem Schutz durch die sogenannten “Menschenrechte” ausgenommen. Der Beitritt der Türkei ist in keiner Weise der Garant dafür, daß revolutionäre Linke und überhaupt Kräfte, die die soziale Emanzipation in der Türkei fördern, begünstigt werden. Man muß vielmehr davon ausgehen, daß alle europäischen kapitalistischen Kräfte darauf achten werden, die revolutionären Kräfte in der Türkei unter der völligen Kontrolle zu halten, ganz in dem Sinne, wie sie eben seit vierzig Jahren zu dem gleichen Zweck innerhalb der Migration mit den fundamentalistischen und den geheimdienstlichen Kräften der Türkei zusammengearbeitet haben. Eine Stärkung der revolutionären Kräfte in der Türkei kommt nur dann zustande, wenn zwischen den revolutionären Kräften in der Türkei und in Westeuropa Kontakte hergestellt werden und innerhalb der Migration das Zurückziehen auf den eigenen Sektor überwunden wird. Der Fundamentalismus selbst braucht diese Separierung und fördert sie zugleich. In der langjährigen Dominanz dieser Mentalität kann man durchaus so etwas wie einen Einfluß des Fundamentalismus und Chauvinismus feststellen.

Man hat bei den Grünen noch nie beobachten können, daß sie ernsthaft  die Segmentierung der Gesellschaft überwinden wollen, im Gegenteil, mit ihrer sogenannten “multikulturellen Gesellschaft” propagieren sie dieselbe. “Multikulturelle Gesellschaft” heißt nichts anderes, als die feudalen und sogar die relikthaft vorhandenen sklavenhalterischen Elemente in der islamischen Gesellschaft zu dulden, zu billigen und ihre Fortexistenz und Ausweitung innerhalb der westlichen Gesellschaften zu ermöglichen.


Nachbemerkung zu diesem 2.Teil: Seit dem Oktober 2005 ist die Entwicklung schon wieder weitergegangen. Im Herbst des Jahres 2006 hat sich die Vormachtstellung der USA weiter abgeschwächt, sie umwerben jetzt wieder mehr die europäischen Länder, um diese auf ihre Seite zu bekommen, und die europäischen Staaten ihrerseits haben die Beitrittsverhandlungen auf die lange Bank verschoben. Die Türkei tritt auch sehr unverhohlen mit ihrem Anspruch einer von den USA geförderten Mitgliedschaft auf, und gibt noch nicht einmal dem EU-Mitglied Zypern die Möglichkeit, die Häfen der Türkei anzulaufen. Aber bei bestimmten Änderungen der internationalen Lage können sehr leicht die gleichen Momente, wie sie hier für den Herbst 2005 geschildert werden, wieder auftreten.


(geschrieben Oktober 2005, Endbearbeitung 2006, 23.12.2006)

 

zum 1.Teil von Oktober 2005  


zum 3. Teil: 

Der Gesamtartikel einschließlich des ab-
schließenden dritten Teils ist in der
Zeitschrift NEUE EINHEIT 2006 erschienen.


[1] Es stellt sich auch die Frage, weshalb ein eventueller Beitritt der Ukraine zur EU unter solchen Bedingungen nach hinten gestellt werden soll, während gleichzeitig der Beitritt der Türkei forciert werden soll.

 

[2] Schaut man in die Zeitungen etwa von Ende der siebziger - Anfang der achtziger Jahre, so ist man erstaunt, daß die gleichen sozialen Themen wie heute, die ständigen Verminderungen der Betriebsbelegschaften, die allmählich sich verschlechternde Alterspyramide, wenn auch noch nicht als unmittelbare Bedrohung, die Frage der „Billigproduktion“ auf anderen Kontinenten im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen, jedenfalls bei den namhaften bürgerlichen Blättern..

 

[3] Als Beispiele seien hier genannt die beiden Bücher:

‚Schwarzbuch: Ausländische Arbeiter’ Herausgegeben im Auftrag des Bundesvorstandes der Jungsozialisten von Siegmar Geiselberger, Fischer Taschenbuch 1325, Dezember 1972

 

Marios Nikolinakos, 'Politische Ökonomie der Gastarbeiterfrage, Migration und Kapitalismus', Rowohlt Taschenbuch Verlag Nr. 1581, Januar 1973

 

Beide Bücher sind in den namhaften Verlagen und Reihen Fischer TB und rororo TB aktuell erschienen. Dies weist übrigens darauf hin, daß die offiziellen Kräfte das Ausmaß der Brisanz der damaligen „Gastarbeiterfrage“ erkannten und sich diesem Thema widmeten.

 

Unter den Quellen sind weiter zahlreiche Zeitungs- und Zeitschriftenartikel zu nennen, die sich in jener Zeit diesem Thema widmeten.

Als einer der auffälligsten kann der aufreißerische Spiegel-Artikel „Die Türken kommen – rette sich wer kann“ (Der Titel erscheint als „Zitat“ einer angeblich verbreiteten Äußerung) aus der Ausgabe Nr.31/73 vom 30.Juli 1973 genannt werden, der zur Vorbereitung des im November 1973 erfolgenden „Gastarbeiterstops“ und des Wechsels zur Produktionsverlagerung diente.

 

[4] Bis dahin liefen die Überlegungen der Unternehmen stärker dahin, die Bundesrepublik als mit eigener starker Industrie behafteten Staat zu belassen, wenn auch die Produktionsverlagerungen sich abzeichneten, so doch auf bestimmten modernen Sektoren, der Chemie, der Maschinenbauindustrie, aber auch der verarbeitenden Industrie starke moderne Abteilungen hier zu belassen. Die moderne und umfassende Energieproduktion war dafür eine notwendige Voraussetzung. Genau dieser Eckpfosten wurde durch die Anti-AKW-Bewegung angegriffen und damit eine weitgehend andere Entwicklung in die Wege geleitet.

 

[5] So entwickelte sich die Zahl der ‚ausländischen Arbeitnehmer’ für jeweils 1970, 1975 und 1985:

- aus Griechenland von 242.000 auf 196.000 und 103.000

-  aus Spanien von 172.000 auf 125.000 und 103.000

- aus Jugoslawien von 423.000 auf 416.000 und 294.000

-  Die Zahl der türkischen Arbeitnehmer hingegen entwickelte sich von 354.000 auf 543.000 und lag in 1985 noch bei 499.000. (Nach „Leistung in Zahlen“ ‚85, BMWI, S.12)

Dazu kommt noch eine erhebliche Zahl illegaler oder nicht erfaßter Arbeiter.

 

[6] Im Jahre 2006 gab es einige betriebliche Kämpfe, in denen türkische Kollegen als Wegbereiter und Organisatoren des übergreifenden Kampfes gegen die Demontage der betrieblichen Arbeitsplätze hervortraten. Ein Beispiel bildete das Bosch-Siemens Hausgerätewerk in Berlin (BSH), dessen fortgesetzter und auf allgemeine Verbreiterung gerichteter Kampf nicht nur von Siemens, sondern auch von der gemeinsamen Fronde der bürgerlichen Parteien und der Gewerkschaftsführung abgewehrt wurde.

 

[7] Siehe hierzu die Neue Einheit 2005, Heft3, mit mehreren Beiträgen zu ‚Entwicklung und Ergebnissen der politischen Auseinandersetzung um die Solidaritätskonferenz vom 12.März 2005’. Unter anderem auch die IS 2005-07, 17 und 18.

 

[8] Militärdiktatur in der Türkei:

 Eine offene Militärdiktatur herrschte in der Türkei von 1960 -61,, dann wieder 1971-74 und nach 1980. Das Militär griff immer dann ein, wenn die parlamentarische Demokratie „instabil“ wurde. Latent herrscht in der Türkei andauernd eine Militärdiktatur. Diese kann sich auch deswegen halten, weil für viele die Drohung  einer fundamentalistischen Diktatur im Hintergrund als Möglichkeit besteht, und demgegenüber noch die Militärdiktatur als schwächere Form der Unterdrückung angesehen wird. Beide Formen spielen sich gegenwärtig in die Hände.

 

 

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