Internet Statement 2006-26

 

Was ist denn tatsächlich wichtig an dem Fall Schröder?

3.April 2006          

Gerhard Schröder hat den Posten eines Vorsitzenden in dem Ostseepipeline-Konsortium angenommen, das von der russischen Gazprom als Mehrheit unter Beteiligung der E-on Ruhrgas und BASF-Wintershall gebildet wird. Das ruft überall Empörung hervor, es wird vermutet, er habe die Aufträge an dieses Projekt noch während seiner Amtszeit begünstigt. Dabei wurde eine Bürgschaft noch in der Endphase seiner Regierung für einen Kredit an die Gazprom angeboten. Schröder selbst wird als Vertreter der Gazprom im Aktionärsauschuß der Pipelinegesellschaft sitzen und dafür 250.000 € „Aufwandsentschädigung“ pro Jahr erhalten. Aber sind der Kredit und die Tantiemen Schröders denn alles?

In den sieben Jahren der Schröder-Regierung wurde mehr Produktion platt gemacht als je zuvor. Unter der angeblichen Ausrichtung auf Dienstleistungen wurde die Industrie verstärkt aus dem Lande gejagt, einer der wesentlichen Faktoren waren ständige dramatische Erhöhungen der Energiekosten und die Blockierung der eigenen Energiebasis, vor allem der Atomenergie. Unter Begleitung permanenter Propaganda wurden die steuerfinanzierten Pseudolösungen wie die Windgeneratoren geschaffen. Unter Schröder wurde 2000/2001 der sogenannte Konsens mit E.on, RWE und anderen über die Schleifung der Kernenergie in Deutschland abgeschlossen. Das war eine besonders betonte Politik der Zerstörung nach innen, die vor allem die arbeitende Bevölkerung unter Druck setzte und die Reaktion auf allen Gebieten verschärfte. Allen, die etwas von Energiefragen verstehen, war klar, daß dies die Abhängigkeit dieses Landes von ausländischer Energiezufuhr, Öl und Gas, erheblich vergrößern würde. Dabei spielten die russischen Öl- und Gaslieferungen von Anfang an eine große Rolle. Da ist es doch gewissermaßen gleich konsequent und folgerichtig, daß Herr Schröder nun als Mann der Gazprom, des beherrschenden Gas- und Öllieferanten Rußlands, bei solch einem Projekt in Szene geht.
Es geht keineswegs nur um die Tantiemen, die Herr Schröder als Aktionärsratsvorsitzender bekommt, oder darum, ob unter seiner Regierung noch Bemühungen unternommen wurden, um schnell noch das Projekt abzusichern, in das er selbst einsteigt. Es geht darum, daß zwischen der Energiepolitik, die im Inneren von ihm forciert worden ist, und seinem jetzigen Job als Vertreter der russischen Öl- und Gasindustrie eine direkte folgerichtige Linie besteht.

Die Abhängigkeit von Öl und Gas aus Rußland wie auch aus anderen Weltteilen, die hart umkämpft sind, wie etwa dem Mittleren Osten, bedeutet automatisch eine Unterdrucksetzung nicht nur der Ökonomie, sondern auch des ganzen bestehenden politischen Systems. Immer muß sich das politische System dann verstärkt denjenigen, die über die Gebiete den größten Einfluß haben oder die Verkehrswege kontrollieren, anpassen.

Zur Zeit Schröders versuchte dieser übrigens gern, sich herauszureden, daß es der grüne Koalitionspartner sei, der mit Fanatismus die Liquidierung der Kernenergie betreibt. Man sieht jetzt in der sogenannten großen Koalition, wie fanatisch die SPD selbst in dieser Frage ist. In ihren Augen ist es eine Frage von sozialem Wohl oder Wehe, daß die Kernenergie mindestens zehn bis fünfzehn weitere Jahre blockiert bleibt - bis nämlich die Generation, die durch diese ganze Kampagne hinters Licht geführt wurde, alt geworden ist. Für diesen Zeitraum haben sie noch die Angst, daß eine Klärung in der Frage der Kernenergie auch zu einer Aufklärung über ihre gesamte Politik seit den siebziger Jahren führt, und damit auch zu einer notwendigen Wende im grundsätzlichen Denken und zu einem Nachdenken über die Ökopolitik im allgemeinen. Die Sache würde sich ins Gegenteil verkehren, wenn die Menschen merken, daß sie mit dieser ganzen Kampagne in die Irre geführt worden sind.

Auch in der CDU gibt es eine ganze Reihe von Vertretern, die die diese Politik aktiv unterstützen.

Eine Pipeline zwischen Rußland und Deutschland durch die Ostsee kann für sich genommen durchaus ein vernünftiges Projekt sein. Wenn sie in Verbindung steht mit der Liquidation eigener Quellen und Fähigkeiten im Inneren, dann ist das etwas ganz anderes. Die Pipeline zwischen Rußland und Deutschland endet sinnigerweise da, wo früher in Greifswald der größte Kernenergiekomplex der DDR errichtet wurde. Anfang der neunziger Jahre wurden diese Kernkraftwerke, auch die Teile, die relativ modern waren, auf Kosten der inneren Ökonomie und vor allem natürlich auf Kosten der Konsumenten, stillgelegt. Vermutlich waren dabei Gespräche im Rahmen der 4+2 Verhandlungen von 1990 ausschlaggebend.

Unter der Schröder-Regierung wurde nicht nur die allmähliche Stillegung bestehender Kernkraftwerke beschlossen, sondern auch die Stillegung wichtiger Forschungsvorhaben auf diesem Gebiet, ja ihre faktische Stigmatisierung oder sogar ihr Verbot betrieben. Man kann wohl nicht von einer Förderung der Forschung reden, wenn auf der anderen Seite solche Gesetze oder behördlichen Bestimmungen erlassen werden.

Die Stützung der herrschenden Energiemonopole hat übrigens auch für Rußland entsprechende Auswirkungen. In Rußland wurden ganze Industriezweige zerstört, die Fähigkeiten russischer Facharbeiter zu Millionen weggeworfen. Das Inventar wichtiger Betriebe wurde von Oligarchen international verschleudert, um Geldgeschäfte zu machen oder um in irgendwelche Öl- und Gasspekulationen zu gehen. „Ganz Rußland lebt nur von Öl und Gas.“ Das konnte man als Ausspruch in Rußland der 90er Jahre oft hören. Dies war überhaupt die Voraussetzung für das Entstehen dieser Art von Räuber- und Bürokratenkapitalismus. Und mit diesem System verbindet sich Schröder auf das engste, und nicht nur er und keineswegs erst heute.

Der Druck der Energiepreise erdrosselt in Deutschland in hohem Maße die Produktion und belastet die privaten Haushalte extrem. Er ist ein Knüppel zur Unterdrückung. Und man kann ja auf keinen Fall nur auf das Finanzkapital oder auf die USA zeigen und deren Politik angreifen. Auch die Politik dieser deutschen Konzerne und ihrer Bundesgenossen in Rußland gehört in das Feuer der Kritik. Diese Sorte Bündnis ist alles andere als progressiv. Es unterdrückt die Fähigkeiten und die Kreativität in beiden Ländern.

Heute profitiert die russische Oligarchie erheblich von dem internationalen industriellen Aufschwung, der sich vor allem auf China und Asien stützt. Dieser Aufschwung hat die Preise für Öl und Gas und andere Bodenschätze in die Höhe getrieben. Sie kann ihr System besser aufrechterhalten als noch etwa vor zehn Jahren. In einem gewissen Umfang kann jetzt von diesen Einnahmen auch eine industrielle Neuentwicklung unterstützt werden. Und trotzdem ist es eine Geißel für Rußland, weil es nur den Opportunismus, die Liebedienerei vor diesem System stärkt, weil der politische autoritäre Koloß, der sich auf die Ölverkäufe stützt, als Grundlage bleibt. Der industrielle Sektor, der sich unter diesen Umständen entwickelt, bleibt nur Anhängsel des Öl- und Gasgiganten.

Und bei uns? Ja, da haben wir eine ganz ähnliche Formation von einflußreichen Energiemonopolen, die inzwischen vielleicht den größten Einfluß auf die Gesellschaft erreicht haben. Der sogenannte Konsensbeschluß hat sie verpflichtet, nach innen hin die Kernenergie „abzuwickeln“, auf der anderen Seite ihnen freie Hand für eine extreme Hochpreispolitik gegeben. Deshalb werden sie jetzt auch von anderen Unternehmen deutlich kritisiert. Sie haben die Liqudidationspolitik, deren Kosten vor allem die Arbeiter und Angestellten und kleinen Unternehmen sowie die ganze energieintensive Industrie zu tragen haben, mitgestaltet. Solche Auftritte wie die von Schröder tragen, wenn man so will, zur Klärung bei.
Man müßte eigentlich sagen: Danke, Herr Schröder, für die Ihre flagrante Offenheit, für die Aufklärung! Das Ganze ist ein Lehrstück über die Politik der letzten Jahre und über Hintergründe unseres politischen Systems überhaupt.

Redaktion Neue Einheit -hd


 

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