Internet Statement 2006-30

 

Ökonomie per Justiz

 

Berliner Forderung nach Schuldenübernahme

28.April 2006            

Das Land Berlin fordert vom Bund und den anderen Bundesländern, daß von dem riesigen Berliner Schuldenberg 30 Milliarden auf den Bund, der evtl. durch andere sog. reiche Bundesländer unterstützt werden soll, umgebucht werden. Ein schönes Prinzip! Gegen diese Forderung haben sich bisher die meisten anderen Länder und der Bund gewehrt, da sie selbst tief in Schulden stecken.

Diese Auseinandersetzung hat es in gewisser Weise in sich, weil sie zeigt, was für Forderungen und Prinzipien von den verschiedenen Seiten vertreten werden.

Zunächst einmal muß man in Erinnerung rufen: Westberlin war früher die Stadt, deren Haushalt zu mehr als der Hälfte von Geldern aus Westdeutschland unterhalten wurde. Dies war die ökonomische Grundlage nicht nur für die Existenz von irgendwelchen Zweigniederlassungen von Konzernen, die hier in Berlin Subventionen aller Art mitgenommen haben, sondern auch die Grundlage für die Aushaltung eines breitgefächerten, nach Hunderttausenden zählenden Spießbürgertums, das dieser Gesellschaftsordnung nach dem Munde redete oder eine Pseudoopposition trieb, etwa indem man die sogenannte Alternativkultur pflegte. Auch sie war ein Ausdruck der speziellen Ausgehaltenheit von Berlin. In keiner anderen Stadt ist diese sogenannte Bewegung so stark erzeugt worden wie hier im früheren Westberlin. Auch Ostberlin nahm innerhalb der DDR eine privilegierte Stellung ein. Es war in einer besonderen Weise Zentrum der Bürokratie.

Berlin behauptet jetzt, die besonderen Belastungen von heute seien Folge der Vereinigung und der Veränderungen nach 1989. Nach 1992 seien die finanziellen Zuwendungen von der Bundesrepublik radikal gekürzt worden und dadurch sei ein Desaster entstanden. Aber es ist doch ein Fakt, daß die Berliner Sumpfkultur, die vor 1992 ausgehalten wurde, auch weiterhin ausgehalten wurde. Berlin brüstet sich z.B. damit, daß es in großem Umfange „Einsparungen“ durchgeführt habe; daß das Personal im öffentlichen Dienst, das bis zu 50% mehr als in anderen Stadtstaaten ausgedehnt war, die selber eine aufgeblasene Bürokratie haben, in den letzten Jahren seit 1995 drastisch gekürzt worden sei, stärker als anderswo. Berlin habe gespart, so wird gesagt, also könne es etwas fordern.

Wie das im Konkreten aussieht, sollte man einmal schildern. Es gibt Fälle in den Büros, wo tatsächlich an unterer Stelle die Arbeitskräfte gekürzt worden sind, so daß die betreffenden Mitarbeiter an Überlastung leiden; aber auf einer höheren Ebene herrscht ein Überschuß an Leuten, der teilweise so stark ist, daß z.B. höhere Beamte von Arbeit freigestellt werden mußten, bei voller Bezahlung durch das Land, weil nicht genügend Arbeit für die Überzahl von beförderten Leuten da war. Und was ist denn mit dem Berliner Bankenskandal? In den Jahren, in denen Berlin angeblich sparen mußte, nahm es sich heraus, Sonderfonds aufzulegen entweder für besonders „staatsbewußte“ Bürger, die sich Zertifikate ausstellen ließen, für die das Bundesland Berlin eine bedingungslose Profitgarantie gab - und für Prominente gab es noch besonders edle Papiere mit besonders hohen Renditen. Eine Art Selbstbedienungsmentalität, die Zufriedenheit bei der Klientel verbreitete. Hat Berlin sich bemüht, diese Dinge zu liquidieren und zu sagen: alle diese Geschäfte sind illegal gewesen, sie sind um den Preis eines Teils der Schulden getätigt worden, um die es jetzt geht? Nein, mitnichten. Der Schutz der Klientel muß Vorrang haben; die hunderttausende Opportunisten, die Kleinbürger mit dem Zuschnitt, daß sie letztlich zu allem Ja und Amen sagen, was hier passiert, oder eine Pseudoopposition pflegen, die im Grunde Pazifismus, Lähmung nach innen vertreten - die müssen um jeden Preis unterstützt werden.

Allerdings ist der Bund bestimmt nicht unschuldig. Wer hat denn die Politik entworfen, die über die sieben Jahre der Schröder-Fischer- Regierung hin absolut dominierte, aber im Grunde schon länger wirkte, die die Ökonomie ganz auf die Dienstleistungsgesellschaft ausrichten wollte und zur verschärften Liquidierung ganzer Industriezweige im Lande beigetragen hat? Wer hat das Windmühlenprogramm, die Förderung der sog. erneuerbaren Energien aufgesetzt, das vom finanziellen Umfang her den Berliner Bankenskandal weit in den Schatten stellt und die gleiche Form von Profitabsahnerei für die unsinnigsten Projekte darstellt? Natürlich leidet die Berliner Ökonomie auch unter der Stagnation der gesamten Ökonomie im Lande, beides bedingt und fördert einander.

Nach innen hin lähmt die Berliner Korruption bis zum heutigen Tage jede Initiative. Aber was sind denn die Konzepte derjenigen, die Berlin ein sogenanntes Sparprogramm verordnen wollen? Da ist die Rede davon, Berlin müsse die Studiengebühren einführen und weitere Stellen, wahrscheinlich auf unterer Ebene, kürzen oder die Sozialleistungen noch weiter kürzen als bisher. Tatsächlich wurde unter den ökonomischen Bedingungen von Berlin eine riesige Masse von Sozialhilfeempfängern erzeugt, die - darüber darf man sich keine Illusionen machen – zu einem Teil durchaus eine Mentalität haben, als sei es Selbstverständlichkeit unserer Gesellschaft, daß sie auf die Dauer in dieser Form existieren können. Aber dieser Staat selbst hat diese Mentalität erzeugt, das muß man jedenfalls auch dazu sagen. Es darf niemals vergessen werden, daß ein sehr erheblicher Teil dieser ganzen Situation in Berlin und anderswo Folge der Freisetzung durch die Schließungen der Betriebe sind, die von der herrschenden Klasse von Anfang an voll mit einkalkuliert worden ist. Davon ist natürlich bei den Kürzungen nicht die Rede. Und das Wichtigste jetzt ist zu begreifen, daß man nicht pazifistisch hinnehmen darf, was diese Kräfte von oben her diktieren. Je weniger das akzeptiert wird und je mehr die Menschen zum Widerstand neigen, desto besser. Deshalb haben wir auch die Sozialbewegung anfangs unterstützt, denn so fangen Bewegungen an, auch auf einem sehr unbewußtem Niveau.
Erinnern wir uns an die Sozialbewegung der Jahre 2003 und 2004. Damals traten Vertreter des sog. Sozialforums Berlin hervor und machten sich dafür stark, daß die Sozialbewegung auch für eine Entlastung des Berliner Haushalts durch den Bund eintreten und dies zu einer der zentralen Losungen auf den Demonstrationen und Kundgebungen machen solle. Das hat sich zum Glück nicht durchgesetzt, zeigt aber, wie stark solche Strömungen in sog. Sozialforen sitzen und die reaktionärsten und fäulnishaftesten Strömungen des herrschenden Systems mitrepräsentieren, sich zum Handlanger dieser korrupten Staatsbürokratie machen und sich als solche verstehen. Letztlich fordern diese Kräfte ebenfalls, daß die internationalen Profite dieses Staates zur Pazifierung nach innen herangezogen werden.

Zum Vergleich mit der jetzigen Berliner Forderung wird auch die Bundeshilfe von 1992 für die Länder Bremen und Saarland hervorgehoben. Im Falle Bremen kann man deutliche Parallelen zum Fall Berlin feststellen. Es ist genauso ein Zentrum alternativer Kultur und der sog. erneuerbaren Energien usw. usf., wie es Berlin lange Zeit war, und der Schuldenberg Bremens ist heute in der Tat gigantisch. Er liegt bei 18.000 Euro pro Einwohner, das ist die Rekordzahl, die selbst die Berlins überbietet, trotz Unterstützungsprogramm durch den Bund. Auch da wurden die Strukturen, die die Ökonomie des Landes selbst aufzehren und natürlich vor allen von den Lohnabhängigen bezahlt werden, in einer besonderen Weise gepflegt. Deswegen ist es das Gegenteil eines Vorbildes.

Selbst großbürgerliche Zeitungen müssen Einiges zugeben. So schreibt das „Handelsblatt“:

„Zu Zeiten der Wiedervereinigung speiste sich Berlins Haushalt noch zur Hälfte aus Geldern vom Bund. Als die Subventionen nach der Wiedervereinigung rasch sanken, versäumte Berlin, seine Ausgaben zu kürzen. Im Wiedervereinigungsboom plante der Stadtstaat eine Zukunft als Dienstleistungsmetropole mit fünf Millionen Einwohnern. Derzeit sind es 3,2 Millionen. Bürgschaften für faule Immobilienkredite der Berliner Bankgesellschaft brachten die Finanzen endgültig in eine Schieflage. 'Berlin muss sparen, bis es quietscht', zog Wowereit die Konsequenzen bei seinem Amtsantritt vor vier Jahren.“ (26.04.2006)

Sparen bei wem? Das ist in der Tat die Frage. Es wird auch zitiert der Finanzminister von Baden-Württemberg, Gerhard Stratthaus:

„ 'Eine extreme Haushaltsnotlage sehen wir gleichwohl nicht', sagte er und forderte: 'Berlin muss noch mehr sparen'. Der Stadtstaat solle Studiengebühren erheben, noch stärker beim Personal kürzen, die Hebesätze der Gewerbesteuer anheben sowie Immobilien und Beteiligungen verkaufen.“ ( 26. 04 2006)

Als ob das irgendetwas bringt in Punkto Schulden, dafür aber vermehrte Repression der Studierenden, einen lähmenden Anpassungsdruck! Die Ökopolitik wird nicht angegriffen.

Und es kommen die Drohungen für den Fall, daß Berlin tatsächlich in die finanzielle Katastrophe stürzt. Das einzige, was nämlich die Sarrazin und Konsorten anzukündigen wissen, ist:

„Wenn wir Zyniker wären, dann könnten wir sagen, lass die Schulden doch weiter wachsen. Aber im Ernst: wir würden unseren Kurs des Ausgabenabbaus fortsetzen. Müssten dabei aber auch in unvertretbarer Weise, die Zukunftspotenziale Berlins in Wissenschaft, Kultur und Kinderbetreuung angreifen.“

Bei den sonstigen Schreibereien des „Handelsblatts“ kommt heraus, daß man sehr gut sieht, was für ein Sumpf, was für eine Ausgehaltenheit gepflegt wurde, aber man richtet sich jetzt schon darauf ein, daß Berlin doch entsprechende Zuwendungen bekommt, wobei dann die sogenannten Auflagen gemacht werden, die nichts bringen. Hier arbeiten üble Kräfte von verschiedenem Kaliber zusammen, auf der Gesamtebene des Staates wie auch in Berlin selbst, die den Bankrott weiter anrühren und ihn zu einem Dauerzustand machen wollen.
Alles für den Erhalt des Sumpfes – so kann man das zusammenfassen. So oder so aber, über die eine oder die andere Schiene, wird auf dieser Grundlage der Zusammenbruch dieser Staatsfinanzen kommen.

Berlin ist in der Tat mit dieser Art von Ökonomie zum überwiegenden Teil selbstverschuldet pleite. Da soll jetzt das oberste Gericht aus der „Notlage“ helfen. An der Aufrechterhaltung dieses ganzen inneren Systems von Berlin war immer die Justiz stark beteiligt. Bei Entscheidungen bspw. über dieses oder jenes ökonomische Projekt, den besonders teuren Bau einer Straße oder Autobahn, war überall Justiz beteiligt, die diese ausgehaltene Ökonomie gestützt hat. Es ist gewissermaßen logisch, daß Berlin jetzt weiterhin auf die Justiz setzt und sich an sie wendet und sagt: Du mußt uns weiter helfen, diese Prinzipien aufrechtzuerhalten.
Jetzt kommt erst recht die Ökonomie per Justiz. Das Bundesverfassungsgericht soll entscheiden, ob der Bund die Schulden übernehmen muß und mit welcher Variante die Lösung erfolgt. Wenn Berlin tatsächlich seine Schulden umbuchen kann, dann braucht man sich von vornherein keine Illusionen über eine Sanierung zu machen. Dies wird die Politik der Aushaltung und der Stagnation - zumindest in Berlin und auch anderswo - weiter verstärken. Wir haben’s ja, fressen wir weiterhin die Ökonomie und die ganze Substanz des Landes auf. Uns kann nichts passieren. Die wichtigste Macht wird heute von den Leuten in der Robe ausgeübt. Allerdings auch mit den entsprechenden Folgen. Eine solche Entscheidung würde sich auch noch über die unmittelbaren Milliardensummen hinaus durch ihr Beispiel zusätzlich lähmend auswirken.

So bedingen sich die Verhältnisse gegenseitig.

Redaktion Neue Einheit - hd

 

 

www.neue-einheit.com