Internet Statement 2006-59

 

Schwedischer Kernkraftvorfall – „Schweden schaltet ab?“ – „Junge Welt“ sofort wieder dabei

7.August 2006        

Wir sind derzeit Zeugen eines der massivsten und brutalsten Angriffe, der seit Dutzenden von Jahren gegen Zivilbevölkerung gefahren wird. Dieser Tage bombardieren die israelischen Zionisten auch die Nachschubwege der Notversorgung der Bevölkerung, die nun zu Hunderttausenden in ihrer Existenz bedroht sind. Da nimmt es sich schon merkwürdig aus, daß neben  gewisse Medien, die aktiv an der Kriegshetze beteiligt sind, dann auch solche, die angeblich in Opposition dazu stehen, einen bestimmten Vorfall, der bis jetzt noch ohne jede nähere Analyse ist, sofort aufgreifen und mit Riesenlettern kommentieren. So geniert sich die „Junge Welt“ nicht, durch ihren Schreiber Wolfgang Pomrehn am Freitag auf der Titelseite mit großem Bild und großen Lettern zu schreiben: „Schweden schaltet ab“.

Erstmal, Schweden schaltet noch keineswegs vollständig den Kernstrom ab. Und egal, was in Schweden passiert, die USA, Rußland, China, Indien, Venezuela, Frankreich, Japan und viele, viele andere Länder denken gar nicht daran, abzuschalten. Sie nehmen einen solchen Vorfall noch nicht einmal zum Anlaß, das auch nur zu erwägen.

Was war passiert? Sicher bekannt ist nur, daß am 25.Juli im Reaktor in Forsmark (Region Upsala) bei Wartungsarbeiten offenbar ein Kurzschluß aufgetreten ist, der nicht nur die Eigenversorgung des Kraftwerkes, sondern auch zwei Notstromaggregate mit lahmgelegt hat. Dies darf grundsätzlich nicht passieren, auch wenn noch weitere Sicherheitsreserven existiert haben, darunter zwei Notstromaggregate, die angesprungen sind. Nähere Einschätzungen sollte man erst nach detaillierter Information machen. Diese liegen bis dato nicht vor. Im „Handelsblatt“ heißt es zum Beispiel, es seien auch noch andere Sicherungssysteme vorhanden gewesen. Schließlich sind ja auch deswegen 4, und nicht bloß 2 Notstromaggregate vorhanden, damit, selbst wenn 3 ausfallen würden, immer noch eines einspringen kann. Dennoch ist ein solcher Vorfall zu Recht sofort Anlaß zu strenger Kontrolle. Es müssen Untersuchungen stattfinden, wie ein solcher, im Grunde primitiver, Kurzschluß zu solchen Auswirkungen führen kann.

Völlig abwegig ist es, auf der Stelle zu fordern, daß sämtliche deutschen Kernkraftwerke stillgelegt werden müssen, wie das die Organisation Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges fordert, die chronisch sowieso nur US- und früher sowjetrevisionistische Propaganda gemacht hat und ungeschminkt für deren Interessen eingetreten sind.

Folgendes ist bei den schwedischen Reaktoren zu beachten. Schweden entwickelte eine eigene Reaktorlinie und baute ein umfangreiches Kernkraftprogramm, das über die Hälfte der Stromversorgung lieferte. Aber alle diese Reaktoren sind mittlerweile auch ziemlich alt, es sind Veteranen, mit denen man arbeitet. Neue Entwicklungen in Schweden wurden durch einen sogenannten Anti-AKW-Beschluß 1980 verhindert. Eine Zeitlang zumindest wurde sogar die Forschung an Kernenergie in Schweden aufgrund dieses völlig unmöglichen Beschlusses verboten. 1980 war aufgrund der vorlaufenden Propaganda in Deutschland und des Harrisburg-Vorfalles eine sogenannte Volksabstimmung angesetzt worden. Die Bevölkerung konnte dabei aber nur darüber abstimmen, ob die Kernenergie innerhalb von 10 Jahren abgewickelt werden soll, oder aber in zwei verschiedenen Varianten in 25 Jahren. Die Bevölkerung entschied sich unter diesen Bedingungen, wenn sie denn nicht ganz der Abstimmung fern geblieben ist, für die 25-jährige Abwicklung. ["Eine nähere Darstellung dieser "Abstimmung" befindet sich mit Dokumentation der Abstimmungsvorschläge in der NE 1/2 1980]

Dies wurde sogar in dem Jahr, in dem die Abstimmung stattgefunden hatte, von vielen Zeitungen als ein „Ja“ zur Kernenergie ausgegeben. Ein paar Jahre später allerdings schrieben die gleichen Zeitungen, daß dies ein Anti-AKW-Beschluß gewesen sei. Die gesamte Abstimmung aus dem Jahre 1980 wirft ein Licht darauf, was Anti-AKW-Ideologen und sogenannte Fachleute für Umweltschutz  unter Demokratie verstehen.

Die 25 Jahre gingen vorüber, und die schwedische Bevölkerung spricht sich nun zunehmend offen in ihrer Mehrheit für den Fortbestand der Kernenergie aus. Einige wenige Reaktoren wurden gewissermaßen symbolisch, um dem Stillegungsbeschluß Genüge zu tun, abgeschaltet (Barsebäck), die übrigen aber liefen weiter. Es würde nicht Wunder nehmen, wenn die Schweden nun nach dem Ablauf der 25 Jahre (das war im Jahre 2005) auch international von bestimmten Kräften unter Druck gesetzt werden, sie sollen nun endlich ihrem Beschluß nachkommen. Denn der Fortbestand der Kernenergie in Schweden ist eines der Beweisstücke, daß die Kernenergie in Europa, wie auch in der ganzen Welt, unentbehrlich ist. Wenn auch keineswegs der einzige Nachweis.

Es ist logisch, daß chronische Anti-AKW-Ideologen den jetzigen Vorfall sofort aufgreifen, und zu einer Sensationsmeldung hochstilisieren. Es arbeiten derweil auf der Welt Hunderte von Reaktoren verschiedener Bauart, und es hat während der 50 Jahren der Benutzung der Kernenergie nur einen einzigen, wirklich schweren Unfall gegeben: den Unfall von Tschernobyl. Dieser Unfall war Folge eines direkten Eingriffes in den Reaktor durch unzulässige und abenteuerliche Versuche, deren Hintergründe bis heute nicht völlig klar sind.

 

Die Verzögerung bei der Kernenergie aufgrund der internationalen Kampagne hat nicht nur in Deutschland in katastrophaler Weise die Verlagerung beschleunigt, sie hat eine riesige Lücke in die weltweite Energieversorgung geschlagen. Bei der heutigen Industrialisierung Chinas, Indiens und weiterer Regionen hat das auf der Welt zu einem katastrophalen Hochtreiben der Energiepreise geführt, Energiehochpreise, welche von der Arbeiterklasse, der Bauernschaft, der mittelständischen Industrie und von der Industrie überhaupt als Zoll an die Besitzer der Bodenschätze und der Energieproduktion erarbeitet werden müssen! Der Druck, der aufgrund dieser Energiehochpreise auf den Völkern und Nationen lastet, ist ungeheuer. Die Folgen sind für Hunderte Millionen, wenn nicht gar für Milliarden von Menschen spürbar. Das Aufhalten der Kernenergie ist ein ungeheuerliches Verbrechen. Demgegenüber ist selbst so ein Vorfall wie Tschernobyl eine völlig unwichtige Randepisode.

In der gegenwärtigen Zeit kommt es um so mehr darauf an, daß die schwierigen politischen Aufgaben, die aufgrund des internationalen Drucks des ganzen Kapitals auf den größten Teil der Gesellschaft existieren, angegangen werden. Daß solche Verbrechen, wie sie jetzt im Libanon passieren, mit allen Mitteln bekämpft werden, und man sich nicht zu sehr von solcher Sensationsmacherei und Hochtreiberei beeinflussen läßt. Die größte Gefahr für die Kernenergie ist sowieso eine Bourgeoisie, die nicht mehr weiter weiß, und die vielleicht dazu neigen könnte, an bestimmten Dingen zu drehen, um ablenkende Effekte oder Panik und andere Dinge zu erreichen.

Der Autor des Artikels „Schweden schaltet ab“ ist der altbekannte Wolfgang Pomrehn, der sich immer schon in der „Jungen Welt“ in dieser Hinsicht hervorgetan hat. Schon vor kurzem hatten wir die Frage aufgeworfen, wie sich solche Leute zu dem Fakt bei dem G8 Gipfel stellen, daß Deutschland in der Anti-AKW-Haltung völlig isoliert ist, und daß CDU/CSU und SPD faktisch gemeinsam die Entwicklung hier abblocken. Erwartungsgemäß erschienen erstmal Artikel in der Jungen Welt, die diese eklatanten Punkt ganz umgingen. Dann schließlich schrieb er in einem Artikel mit dem Fazit, daß die USA und Rußland an der Kernenergie festhielten und schob nun alles auf sie, was für die „Junge Welt“ schon ungewöhnlich ist, denn Rußland kritisiert sie im Allgemeinen kaum.

 Doch es sind keineswegs nur die USA und Rußland, die an der Kernenergie festhalten, sondern auch fast alle anderen großen Staaten, egal welche Stellung sie heute international einnehmen, halten daran fest. Insofern lenkt diese Argumentation ab. Bei einem früheren Bericht über China hat Pomrehn es fertig gebracht, auf die chinesische Intention in punkto Windenergie einzugehen und dabei die Tatsache, daß China viele Dutzende neue Kernkraftwerke in Bau oder in Planung hat, einfach zu übergehen. So etwas nennt man vorsichtig ausgedrückt einen ganz schlechten Journalismus. Pomrehn selbst könnte man noch übersehen, aber es ist die Leitung der Redaktion der „Jungen Welt“ selbst, die derartige Artikel zum absoluten Topleader macht.


Ein kurzer Nachtrag: Die Korrespondentin von Inforadio berichtete am 5.8. über die Debatte in Schweden über den Vorfall. Danach stammen die beiden defekten Stromaggregate von AEG. Sie haben aber keinen Konstruktionsfehler, sondern sie wurden bei der letzten Wartung durch die AEG falsch eingestellt. Die verschiedenen Zeitungen dort nehmen gegensätzliche Standpunkte ein. Die Zeitung Svenska Dagbladet, kommentiere Stellungnahmen, Blätter und Medien, die den Vorfall von Forsmark mit Tschernobyl vergleichen, mit der Bemerkung, daß wir es hier nicht mit einer Kernschmelze, sondern mit einer Hirnschmelze der Betroffenen zu tun haben.

RedakNE -Hartmut Dicke

 

 

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Deutschland völlig isoliert in der Frage der Kernenergie beim G-8-Gipfel
IS 2006-47 - 13.7.06

Die Fragen zu Tschernobyl bleiben - Sie müssen geklärt werden
22. April 2006

Aus der NEUE EINHEIT Nr.5/86: Die Veröffentlichung des Tschernobyl-Berichts - Zur Verlogenheit der Medienhetze gegen die Kernenergie
10. Oktober 1986

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Die Bedeutung des sog. Konsenses über die Stillegung der Kernenergie
Memorandum von Hartmut Dicke

7. Juli 2000


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zur Frage der Kernenergie