Internet Statement 2007-28

 

Licht aus bei AEG – Was ARD und IG Metall dabei lieber verschweigen

Uwe Müller 30.3.07      

 

Die Produktion im AEG-Werk in Nürnberg ist endgültig eingestellt worden. Am 14. März lief der letzte Geschirrspüler vom Band, nachdem eine Woche zuvor schon die Waschmaschinenfertigung eingestellt wurde. Die ARD nahm dies am 28.3. zum Anlaß, einen halbstündigen Bericht dazu mit dem Titel „Licht aus bei AEG“ zu bringen. In der Tat ist es wichtig, darauf einzugehen. Denn es gibt viele AEGs. Viel zu viele, und ein Ende ist nicht abzusehen, allen Beteuerungen der Gewerkschaften zum Trotz, die da immer wieder gebetsmühlenartig wiederholen: Verlagerungen seien gesellschaftlich gesehen kein Problem, weil vom Umfang her viel zu unbedeutend - und die meisten Betriebe kämen nach einer Verlagerung sowieso wieder zurück. Wer´s glaubt!

 

Die betroffenen Belegschaften und Regionen sehen das allerdings – und völlig zu recht - ganz anders. So auch die Kollegen bei AEG. Sie kämpften in der Mehrheit gegen die Schließung, für die Weiterführung der Produktion in Nürnberg, das war ihr vorrangiges Ziel. Ganz anders aber die IG Metall. Von Anfang an ging es ihr auch bei AEG nur darum, die Schließung „sozial abzufedern“ und eine möglichst hohe Abfindung herauszuschlagen. Natürlich kamen sie damit nicht offen, zumindest am Anfang. Sie redeten den Kollegen erstmal nach dem Mund: Wir unterstützen euch in eurem Kampf gegen die Schließung. Streiken dürfen wir aber nur für einen „Sozial“tarifvertrag. Wir würden ja gerne gegen die Schließung streiken, liebe Kollegen, aber es gibt nun mal „keine gesetzlichen Möglichkeiten, für den Erhalt der Arbeitsplätze zu streiken.“ (siehe dazu: „Streik bei AEG in Nürnberg - Wesentlich ist, wofür mobilisiert und gekämpft wird“) Und so wird dann auch der Kampf seitens der IG Metall geführt, bei AEG und anderswo. Es ist kein Zufall, daß die ARD-Sendung genau auch diesen Punkt hervorhebt: „Man kann nicht gegen Schließung streiken“ hieß es darin. Also kann man der IG Metall ja nichts vorwerfen, so die logische Schlußfolgerung daraus.

Beide verschweigen hierbei die Tatsache, daß wenn die Gewerkschaften immer nur so brav gesetzestreu gehandelt hätten, daß sich dann z.B. im wilhelminischen Deutschland gar keine Gewerkschaften hätten entwickeln können. Die Gewerkschaften mußten sich in den Anfangszeiten der Arbeiterbewegung ihr Existenzrecht und ihren Handlungsspielraum immer und überall - zum Teil sogar sehr blutig - erkämpfen. So wie das auch heute noch in vielen Teilen der Welt der Fall ist. Man darf hierzulande nicht gegen Schließung streiken? Das ist traurig, aber wahr. Das heißt aber doch nicht, daß man es nicht trotzdem tun kann! Die Gewerkschaften sind ihren Mitgliedern, den Arbeitern verpflichtet und nicht dem Staat, der mit solchen Gesetzen die Interessen der Arbeiter und Angestellten mit Füßen tritt.

 

Die IG Metall fügt sich freiwillig einem Gesetz, das die elementarsten Interessen der Beschäftigten zutiefst verletzt. Eine schöne Gewerkschaft ist das. Etliche Belegschaften haben die Konsequenz daraus schon am eigenen Leib erfahren müssen, fühlten sich nach der Niederlage verraten und verkauft. Hier aber kennt die IG Metall kein Pardon: Streiken gegen Schließung? Das ist doch gegen das Gesetz, das gibt´s mit uns nicht! Wir sind der Hüter des „sozialen Friedens“, das ist die Aufgabe, die wir zu erfüllen haben. Wir sind nicht gegen den Kapitalismus überhaupt oder etwa gegen das System – wir sind doch ein Teil davon und haben die Aufgabe bekommen, es so „sozial“ wie möglich mitzugestalten. So ungefähr kann man diese Rolle beschreiben. Mit solchen Gewerkschaften ist ein wirklicher Kampf nicht zu führen. Das muß eine Lehre aus AEG und den vielen anderen verlorenen Kämpfen gegen Schließung sein. Bei einer solchen Herangehensweise ist es deshalb auch kein Zufall, wenn die IG Metall selbst die Niederlage des Kampfes gegen die Schließung bei AEG wie auch andernorts noch als Erfolg feiern kann:

 

„»Es ist sehr gut für die Arbeitnehmer, aber dennoch schlecht für die Region, weil die Arbeitsplätze weg sind«, sagte er der dpa. Die IG Metall habe um den Erhalt des Nürnberger Hausgerätewerks gekämpft. »Aber leider war das nicht machbar.« Die von Electrolux zugesagte Abfindungszahlung von 1,8 Monatsgehältern je Beschäftigungsjahr bezeichnete Neugebauer als sehr gutes Resultat. »Das haben wir noch nie in einem Sozialtarifvertrag erreicht.«“  so IG Metall-Chef Bayern Neugebauer in der AEG-Streikzeitung Nr.22 vom 1.3.2006

 

Und beim stellvertr. IG Metall-Chef Huber klingt es ganz genauso:

 

„Allerdings gebe es keine gesetzlichen Möglichkeiten, für den Erhalt der Arbeitsplätze zu streiken. »Dieser Streik war von Anfang an ein Akt der Notwehr«, sagte Huber. Vor diesem Hintergrund sei die nun getroffene Abfindungsregelung, bei der die Beschäftigten pro Beschäftigungsjahr 1,8 Bruttomonatsentgelte erhalten, ein gutes Ergebnis.“  ebenda

 

Viele AEG-Kollegen werden das anders sehen.(siehe dazu auch: Einigung bei AEG Nürnberg - ein "gutes Ergebnis"?). Ein Kollege äußerte sich z.B. in der jetzigen ARD-Sendung sinngemäß so: „Es ist eine schmerzliche Niederlage. Ich werde mich noch irgendwie bis zur Rente retten und über die Runden kommen. Was aber ist mit meinem Kind? Wo sollen die Jungen denn noch Arbeit finden, wenn das so weiter geht?“ Was sein Kind und die Situation der Jungen betrifft, hat er absolut recht. Was ihn allerdings selbst angeht: daß er sich da mal nicht täuscht.

 

 

Viele AEG-Kollegen wollten im März 2006 den Streik weiterführen, sie wollten keine Abfindungen, sie wollten die Schließung wirklich verhindern. Und da kommen wir zum zweiten Punkt, den IG Metall wie auch die ARD tunlichst verschweigen. Die Stimmung der AEG-Kollegen nach der sog. Einigung war keineswegs euphorisch. Ganz im Gegenteil, dafür hatten sie nicht gestreikt. Wie aber kam dann die große Zustimmung von 81% bei der Urabstimmung für das Ergebnis und für den Streikabbruch zustande? Hierzu einen Auszug aus einem sehr aussagekräftigen Bericht von der Projektseite Druckwächter auf netzwerkit.de vom 7.3.2006:

 

„Die Presse berichtet heute nur eine Zahl über die AEG. 81% Zustimmung bei der Urabstimmung für den Sozialtarifvertrag. Doch wie sieht die Welt wirklich hinter den Propagandalügen aus? Am Ende haben alle Tricks nichts geholfen. Die IGM hat keine Mehrheit für den Streikabbruch zustande gebracht. So bleibt Jürgen Wechsler heute früh nur noch die Flucht nach vorn zur Lüge. Erinnern wir uns zurück an den Streikbeginn im Janaur: "Insgesamt haben 923 von 929 abstimmenden (958 stimmberechtigten) Mitgliedern das Ja auf dem Stimmzettel angekreuzt. Viele Kolleg/innen haben sich aus Protest gegen die Farce einer tatsächlich nicht vorhandenen Wahl an der zweiten Urabstimmung nicht beteiligt. Bei der ersten Urabstimmung werden nicht abgegebene Stimmen als Nein gezählt, bei der zweiten teilt die Streikleitung nicht mal die Zahl der abgegebenen Stimmen mit!

Dafür meldet ein reichlich geknickter BR-Reporter im ARD-Frühstücksfernsehen um 8:35 Uhr, dass sich an der Wahl alle IGM Mitglieder betiligt hätten, außer denen, die krank geschrieben sind. Das waren letzte Woche 450 Leute und heute sind nach Aussage des Betriebsrates weitere 70 Krankmeldungen eingegangen.

Wenn die Hälfte der Kolleg/innen nicht abgestimmt hat und vom Rest 19% mit Nein, dann hat die IGM klar die Mehrheit für ihren Streikabbruch verfehlt.

Stimmt diese Rechnung? Wir können es nicht genau wissen. Genauso wenig wie wir rausfinden konnten, wer, wann und wo die Wahlurne geöffent und die Stimmzettel gezählt hat? Entsprechende Nachfragen hat Jürgen Wechsler gestern mit der tiefsinnigen Antwort beschieden: "Darum kümmere ich mich schon!"“   http://www.netzwerkit.de/projekte/aeg/chronik/urabst070306  

Weder in der IG Metall noch in der Presse wurde damals wie heute auch darüber etwas berichtet, noch nicht einmal angedeutet. Das sind doch im Grunde kriminelle Methoden. Mit allen Mitteln, bis hin zu illegalen, wurde seitens der IG Metall der Streik bei AEG abgewürgt. Wir wissen zwar nicht, ob dieser Bericht in allen Einzelheiten zutrifft, wir waren nicht vor Ort. Wundern würde es uns aber nicht, haben wir doch selber schon in unzähligen ähnlichen Fällen Tricksereien und Unterdrucksetzung aller Art seitens der IG Metall-Oberen direkt miterlebt. Und vor allem haben wir bislang auch keine Gegendarstellung seitens der IG Metall dazu gesehen. Das wird unter den Teppich gekehrt. Da darf aber doch kein Gewerkschafter darüber hinwegsehen, das darf sich auch kein Gewerkschafter gefallen lassen. Man schaue sich doch einmal den Streikabbruch bei BSH in Berlin an, dort wurde zum Brechen der streikbereiten Belegschaft Unterdrucksetzung massivster Art seitens Siemens und IG Metall betrieben sowie Abwiegelung und Einschüchterung seitens Wowereit und Gisy.

 

 

Nehmen wir einmal an, die IG Metall wäre wirklich bereit, gegen Betriebsschließungen ernsthaft zu streiken (auch gegen das Gesetz). Würde dann die Konzentration des Streiks auf die betroffenen Standorte ausreichen? Natürlich nicht. Ohne Verbindung zu den anderen Standorten des Konzerns, zu den Standorten der gleichen Branche, zu den Belegschaften und Gewerkschaften im ganzen Land, in Europa und darüber hinaus – sind solche Streiks allerhöchstens im Ausnahmefall zu gewinnen. Solange z.B. in Polen Löhne von 3 € an der Tagesordnung sind, kämpft man isoliert auf verlorenen Posten. Und was tut die IG Metall, die größte Einzelgewerkschaft der Welt, in dieser Hinsicht? So gut wie nichts! Das ist ein Unding, und auch das verstößt gegen die elementaren Interessen ihrer Mitglieder wie die Weigerung, sich mit diesem System hier ernsthaft anzulegen. Wir brauchen, zumindest erstmal in Europa, gemeinsame soziale Standards, Freiheit für gewerkschaftliche Betätigung, allseitiges Streikrecht usw... Solange z.B. in Osteuropa Gewerkschaften nur halblegal unter schwierigsten Bedingungen arbeiten können, wenn überhaupt, solange werden wir auch hier nicht wirklich gegen Verlagerungen etwas erreichen können. In Worten unterstützt selbst die IG Metall diese Forderungen. Das Kapital wird uns und unseren Kollegen in Osteuropa diese Rechte nicht freiwillig geben. Sie müssen gemeinsam erkämpft werden. Auch hier bei uns. Und auch gegen die IG Metall in der heutigen Form, die dank ihrer System- und Kapitalhörigkeit die elementarsten gewerkschaftlichen Aufgaben nicht wahrnehmen will.

Zum Schluß noch einmal ein Zitat aus einem Artikel vom 14.3.2007 von Druckwächter anläßlich der Stillegung der Produktion bei AEG:

„Die Erfahrungen, die wir im Kampf gegen die Werksschliessung mit Electrolux, Politikern und Gewerkschaftsstrukturen gemacht haben, wollen wir nicht vergessen. Und diese Erfahrungen werden wir an unsere neuen Arbeitsplätze mitnehmen und in unserem Bekanntenkreis verbreiten.
Den Kampf um die AEG haben wir vielleicht noch verloren. Bei den nächsten Auseinandersetzungen müssen wir deshalb aus den Erfahrungen der AEG lernen, und aufpassen, dass wir nicht wieder verarscht, verraten und belogen werden.
Und allein hier in Nürnberg stehn noch viele Auseinandersetzungen an. Eine ganze Reihe von Betrieben sind gefährdet und von Entlassungen bedroht.
ES GIBT VIEL ZU TUN !“    http://www.netzwerkit.de/projekte/aeg/chronik/letztertag14maerz07

 

Dem kann man vollauf zustimmen.

 

 

 

www.neue-einheit.com