Internet Statement 2007-78

 

Rußland errichtet 30 neue Kernkraftwerke

Hartmut Dicke, 14.September 2007      

Am 8. September fanden die Verhandlungen zwischen Rußland und Australien über die Lieferungen von Uran an Rußland einen Abschluß. In dem Zusammenhang wurde bekannt, daß Rußland dem Bau von 30 neuen KKWs entgegensieht und darüber hinaus der Errichtung der Kernenergie als grundlegendem Sockel der Energieversorgung der Zukunft, u.a. auch zur Verminderung der Luftverschmutzung, eine fundamentale Bedeutung beimißt.

Diese Entscheidung kann man nur begrüßen. Die Fortführung der Kernenergie ist notwendig. Und es ist sehr interessant zu sehen, wie in Deutschland die politische Öffentlichkeit sich wie fanatisiert völlig ignorant gegenüber diesem sich international immer weiter durchsetzenden Trend verhält.
Die deutsche Bourgeoisie, die deutsche Regierung, die deutschen Banken, die deutschen sog. NGOs sind bis heute überhaupt die Voranreiter bei der Anti-KKW-Propaganda. Aber angesichts solcher weltweit bekannt gewordenen Entscheidungen, die nicht alleine auf Rußland begrenzt bleiben, bekommt ihr Vorgehen einen immer sektiererischeren und abwegigeren, gegen die Entwicklung gerichteten Charakter.

Sprechende Fakten bewirken oft weit mehr als Propaganda oder Aufklärung. Rußland kann nicht auf die Entwicklung der Kernenergie verzichten. Und es hat recht, wenn es betont, daß in der ganzen internationalen Energieversorgung bei der zunehmenden Industrialisierung großer neuer industrieller Staaten und Gebiete die Kernenergie eine hervorragende Rolle einnehmen muß.

Was ist mit Deutschland geschehen, dessen Wissenschaft selbst einmal vorangehend in der Frage der Kernenergie war, das eine Heimstatt der Entwicklung der atomaren Theorie und der Kernphysik war, daß wir uns heute auf solch einem abwegigen Geleis bewegen? Diese Frage führt auf die politischen Strukturen in diesem Land selbst. Warum haben wir Medien, die von Anfang an, das heißt seit 1974 [1] und sogar noch einige Jahre davor, das Thema der Furcht vor Kernkraftwerken bei der Mehrheit in den Mittelpunkt rückten?
Wie wir oft betont haben, ist die Anti-KKW-Kampagne Reaktion pur, die sich gegen die Weiterentwicklung, gegen die Entwicklung der modernen Wissenschaften und letztlich gegen die internationale Arbeiterklasse, die auf der Grundlage der modernen hoch vergesellschafteten Produktion steht, richtet. Was hat es nicht für Schelte gegeben, weil wir dies vertreten haben. Nun dürfte man gespannt sein, wie sich die Urheber zu diesen neuesten Entscheidungen Rußlands und anderer Länder stellen.


Es bleibt bezüglich Rußlands aber ein wesentlicher Punkt aus der Vergangenheit, der damit nicht aus der Welt geschafft wird. Die Sowjetunion bzw. Rußland unterstützte während der 70er- und 80er-Jahre selbst den Aufbau und die Verbreitung der Anti-KKW-Ideologie und Denkweise in Deutschland, die aufgebauschte Furcht vor dem Weltuntergang durch Kernkraftwerke und anderes. Sie unterstützte dies durch Geldgaben an die DKP, und nicht nur an diese. Der ganze Überbau, Rundfunk, Presse, Fernsehen, der diese Kampagne betrieb, war nicht nur mit deutschen Banken und mit den USA verbunden, sondern auch mit Rußland, mit russischen Einflüssen in der damaligen politischen Szene.
In Tschernobyl ereignete sich in der Sowjetunion, in der Ukraine an der Grenze zu Rußland der GAU eines Kernkraftwerkes. Ein ausschlaggebender Grund war, daß vorsätzlich die Sicherheitssysteme lahmgelegt worden waren und an dem Reaktor experimentiert wurde. Bis heute sind die Umstände nicht vollständig klar. Aber dieses gefährliche Unglück von Tschernobyl führte nur in Deutschland und einigen anderen Ländern Westeuropas zu einer tobenden, bis an die äußerste Spitze getriebenen Anti-KKW-Kampagne, nicht aber in der Sowjetunion bzw. in Rußland selbst. Das muß man dabei betonen. Internationale politische Einflußnahmen, neben denen der USA nicht zuletzt die Rußlands, sind es, die die Verbreitung der KKW-Furcht in Deutschland in diesem Ausmaß erst möglich gemacht haben. Dies bleibt.


Gegenwärtig scheinen die ökonomischen Fragen, die mit der Beseitigung der Kernenergie in Deutschland zusammenhängen, nicht so wesentlich zu sein. Man kauft sich immer noch Kernenergie-Strom im Ausland, man hat noch bestehende Kernkraftwerke, die allerdings auf der Abschußliste stehen, und man hat einen internationalen ökonomischen Aufschwung, der in einem Teil der Industriezweige in diesem Land einen international gesponsorten Aufschwung nach sich zieht. Die Auswirkungen der Deindustrialisierung, die durch die Anti-KKW-Bewegung massiv forciert worden ist, sind dennoch jetzt für Millionen in ihren ökonomischen und sozialen Verhältnissen zu spüren. Ganze Industriesektoren sind durch diese Umstände hinausgetrieben worden, und der Aufbau von steuerfinanzierten Öko-Industrien wird auf die Dauer auf keinen Fall die Verluste ersetzen können. Wenn der gegenwärtige internationale Aufschwung eine entschiedene Delle bekommt und zurückgeht, wird man noch ganz anders die Auswirkungen dieser Anti-Industrialisierungskampagne spüren.

Nicht nur Rußland setzt sich für die Kernenergie ein. Kurz danach drängte Sarkozy bei Verhandlungen mit Angela Merkel auf die Ausweitung der Kernenergie in der gesamten Welt. Und noch mehr, der Siemens-Konzern verliert wahrscheinlich sogar seine Position im gemeinsamen Areva-Konzern, indem er dort herausgekauft wird, was man durchaus verstehen kann. Denn welches Land, welcher industrielle Konzern wird wohl auf die Dauer mit einem anderen Konzern wie Siemens zusammenarbeiten, der nur noch von den sog. erneuerbaren Energien schwafelt und die Kernenergie längst auf das Abstellgleis befördert hat?
Auch große Konzerne mit internationalen Verbindungen sind von subjektivistischen Einschätzungen absolut nicht frei. Es gab auch früher die selbsttröstenden Erzählungen: weil die industrielle Entwicklung weiter gehe und Siemens international im Geschäft bleibe und sich international weiter engagieren könne, würde der industrielle Einbruch wegen der Blockade der Kernenergie in Deutschland selbst nicht so groß sein. Damit trösteten sich vor allen Dingen Bourgeois. Jetzt zeigt sich, daß die sog. Öko-Politik der Deutschen sie in die völlige Isolierung bringt, mit katastrophalen Folgen, die dann aber nicht nur von der Bourgeoisie, sondern vor allem von der breiten Masse der Bevölkerung bezahlt werden wird.

Ob sie es wollen oder nicht: es werden sich alle Parteien einschließlich der Linken noch mit dieser internationalen Entwicklung befassen. Was sagen sie denn dazu, daß es von der internationalen Ebene her solch eindeutige Bekenntnisse für die Entwicklung der Kernenergie gibt?

 

Um noch einmal die Stimmung in den herrschenden Kreisen in Deutschland zu kennzeichnen, hier noch ein sehr charakteristisches Zitat aus dem „Handelsblatt“ vom 7.9.07. Diese Zeitung ist bekanntlich das Blatt der deutschen Finanzoligarchien und der Großunternehmen. Es schreibt bissig:

„Das Uran-Abkommen versetzte Kritiker aus der ganzen Welt in Alarmstimmung. Der kanadische Menschenrechtsanwalt Robert Amsterdam warnte, australisches Uran könne in iranischen Atombomben enden. ’Herr Putin steht Schulter an Schulter mit Teheran’, so Amsterdam. Die Tatsache, dass Russland den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet habe, bedeute nichts, meinte der Anwalt, der den inhaftierten russischen Milliardär Mikhail Khodorkovsky vertritt. Die grüne australische Parlamentarierin Christine Milne sagte, ’es geht nur darum, dass die großen Bergbaufirmen großes Geld machen können.’“

Welch ein „anti-kapitalistische Anklage“, weitergetragen in dem Blatt des deutschen Finanzkapitals!

[1] 1974 begann nicht nur mit Demonstrationen gegen das geplante Kernkraftwerk von Wyhl in Baden, sondern auch durch eine massive Kampagne durch zahlreiche Zeitungen und vor allem auch durch die Fernsehanstalten die massenhafte mediale Verunglimpfung der Kernenergie.

 

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Der Vattenfall-Zirkus
Weshalb wurden die Manager Thomauske und Banek gefeuert?       Walter Grobe    16.07.07

Abschaltungen der KKW Brunsbüttel und Krümmel:
Prompte Panikmache gegen Kernenergie - ohne jede sachliche Fundierung.
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2007-59, 29.06.07

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Grundremmingen
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zur Frage der Kernenergie

 

Mit Klimageheul und Windrädchen an die Weltspitze – das abstruse Konzept von Merkel und Gabriel
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Die CDU – voll beteiligt an der Destruktion der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland: Der Fall der Hanauer Nuklearbetriebe
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IS 2006-29 - 22.4.06

Die Schließung von Obrigheim
IS 2005-40 vom 20.5.05

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Die Bedeutung des sog. Konsenses über die Stillegung der Kernenergie
Memorandum von Hartmut Dicke

7. Juli 2000