Internet-Statement 2010-27

 

 

Die Berliner S-Bahn

Ist jetzt der Sommer schuld ?

 

Wassili Gerhard 10.07.2010  

Als im letzten Winter, wie erwartet,  mit den ersten strengen Frösten erhebliche Störungen bei der Berliner S-Bahn eintraten sagte jemand beim Berliner Aktionsbündnis Nahverkehr*):  „Im Sommer werden sie dann Störungen haben, weil die Sonne scheint.“ Und wie erwartet kommt es jetzt:  Aufgrund der Sommerhitze muß gegenwärtig z. T. wieder mit weniger Wagen gefahren werden und es drohen Zugausfälle (oder sind schon eingetreten).  Ein Kommentar in der Berliner Presse dazu: Die S-Bahn hat vier Feinde: Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Dieser Spruch kursiert auch bei den Beschäftigten der Berliner S-Bahn, die ihr Management kennen und daher auch die Ursachen des „S-Bahn-Chaos“, das vor einem Jahr mit der zwangsweisen Herausnahme eines großen Teils der Wagen wegen Sicherheitsmängeln einen Höhepunkt erreichte hatte.

 

Die jetzigen Störungen sollen hauptsächlich durch zwei aktuelle Ursachen bedingt sein.

 

Erstens: Empfindliche elektronische Bauteile leiden dem Vernehmen nach unter der gegenwärtigen Hitze. Zwar wurde der Führerstand der Triebwagen klimatisiert, um sie davor zu schützen, aber um das Aufsichtspersonal auf den Bahnhöfen einsparen zu können, müssen die Zugführer auf jedem Bahnhof zwecks Zugabfertigung die Tür öffnen, und so dringt regelmäßig die heiße Luft ein und die Klimaanlage ist dadurch überfordert. Als die neuen Züge, die jetzt soviel Ärger machen, gebaut wurden – das war vor dem Personalabbau von fast einem Drittel der S-Bahner - gab es noch das Personal auf den Bahnhöfen und man ging davon aus, daß die Türen geschlossen bleiben.

 

Zweitens gibt es gegenwärtig, in der sommerlichen Urlaubszeit, zu wenig Personalreserven, eben weil die Bahn die Zahl der Beschäftigten so weit heruntergefahren hat. Auch in der jüngeren Vergangenheit sind schon wegen dieser Ursache Züge ausgefallen, was im allgemeinen Chaos nicht so aufgefallen ist.

 

Aber auch andere Reserven fehlen nach wie vor. Die zum wiederholten Male versprochene Rückkehr zur Normalität, diesmal bis Jahresende, ist schon allein deshalb fraglich, weil die dafür erforderliche Anzahl von Wagen wohl nicht zur Verfügung steht. Der Berliner Tagesspiegel schreibt dazu am 10.Juli 2010:

„Nach Angaben des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg (VBB) konnte die S-Bahn von den versprochenen 416 Doppelwagen am Freitag nur 393 einsetzen. Dabei hat die Bahn angekündigt, das Angebot schrittweise so zu verbessern, dass am Jahresende wieder auf allen Linien nach dem regulären Plan gefahren werden kann. Dafür sind 501 Doppelwagen erforderlich. Um auch mit der erforderlichen Wagenzahl fahren zu können, braucht die S-Bahn sogar 562 Doppelwagen, die erst Ende 2011 vorhanden sein sollen.“

Die Rückkehr zur Normalität dürfte also noch länger auf sich warten lassen, wobei die bekannten „vier Feinde“ dann als Sündenböcke herhalten können.

Aber natürlich sind die immer so unerwartet hereinbrechenden Wechsel der Jahreszeiten nicht der wirkliche Grund. Die Probleme sind nicht unvorhersehbar. Vielmehr wurde mit dem allseitigen Abbau von Personal „bis es knirscht“, mit dem Abbau  der Zugabfertiger, dem Abbau von Sicherheitsreserven offensichtlich das Risiko solcher Probleme in Kauf genommen, denn es sollte unbedingt der von der Konzernzentrale vorgegebene Gewinn herausgequetscht werden. Damit sollte ein Beitrag geleistet werden, den Deutsche-Bahn-Konzern und seine Aktien für den ursprünglich letztes Jahr geplanten Börsengang attraktiver zu machen. Die Funktion als Massenverkehrsmittel verkommt dabei zur Nebensache.

Mit ursprünglich geplanten 125 Millionen Euro Gewinnabführung in diesem Jahr, zuzüglich zu den Einnahmen durch hohe Nutzungsgebühren für die Gleisanlagen und andere  Abführungen an den Mutterkonzern sollte die S-Bahn zur Attraktivität für Anleger beitragen. Und auf wessen Kosten? Auf Kosten der Beschäftigten, die es immer schwerer haben, einen vernünftigen und sicheren Betrieb aufrecht zu erhalten, auf Kosten der vielen Kollegen, die abgebaut wurden, auf Kosten der Fahrgäste, auf Kosten der Steuerzahler, die jedes Jahr ca. 230 Millionen Zuschüsse aufbringen, um einen ordnungsgemäßen Betrieb zu ermöglichen. (Abgesehen von den hohen Werten und Vorleistungen, die der Konzern zum Anschub erhalten hat)

Angesichts des angerichteten Chaos macht die Bahnführung jetzt zunächst einmal nur die Zugeständnisse, um die man nicht herumkommt, sie muß ja schließlich auch ein Minimum an Bemühungen zeigen, die abgeschlossenen Verträge wieder erfüllen zu wollen, und versucht die Fahrgäste mit versprochenen Freifahrten und Ermäßigungen bei Sammelkarten bei Laune zu halten. Die Bahn hat zwar ihre Bemühung um die Rückkehr zur Normalität bis Jahresende versprochen und in einem neu verhandelten Verkehrsvertrag gibt es jetzt mehr Möglichkeiten, für nicht erbrachte vertragliche Leistungen auch nicht die vollen Steuerzuschüsse zu zahlen, (eigentlicher Skandal ist, daß das vorher schwerer möglich war) aber eine grundsätzliche Umkehr ist bisher nicht erkennbar.

Sicherlich spielt auch eine Rolle, daß Berlin heute keine Industriestadt mehr ist, wo zig- Tausenden morgens zwischen 5 und 7 Uhr in die Fabriken geschaufelt werden müssen. Damals hätten die entsprechenden geschädigten Konzerne wie z.B. Siemens, SEL, AEG  oder Borsig sicher großen Druck entfaltet, daß die S-Bahn wieder zuverlässig funktionieren muß. Heute steht anscheinend für den Bund als Noch-Eigentümer des Bahnkonzerns die Funktion als Renditeobjekt für Anleger, als Möglichkeit zur Schaffung von Aktienkapital, eher im Vordergrund. Und da muß eben auch eine Rendite herauskommen, wie sie auch bei anderen Unternehmen erwartet wird, und man hat Verständnis, offenbar auch auf Seiten des Berliner Senats, daß z. B. kein Kapital für nur selten genutzte Sicherheitsreserven „verschwendet“ wird. Die Herrschaften, die da Entscheidungen treffen oder investieren, fahren sowieso nicht mit der S-Bahn. So besteht die Gefahr, daß Unternehmen wie die Berliner S-Bahn, die seit vielen Jahrzehnten als zuverlässige öffentliche Einrichtungen funktioniert haben,  auf den Hund gebracht werden. Auch bei einer Neuausschreibung, die von manchen als Lösung angepriesen wird, besteht die sehr reale Gefahr, daß wieder neue Steuergelder hineingepumpt werden, um dann einen ähnlichen Prozeß mit neuen Anlegern von vorn beginnen zu lassen. Und vielleicht will sich die Deutsche Bahn AG ja bis zu einem solchen Zeitpunkt über die Zeit retten.

Auch eine Verstaatlichung bei gleichzeitiger Beibehaltung des grünen Kurses, wie er heute nicht nur von den Grünen selbst vertreten wird, sondern mehr oder weniger in allen großen Parteien Vertreter hat, wird nicht die Lösung bringen. Erst einmal muß man sehen, daß die grüne Richtung im Zusammenhang mit der Deindustrialisierung in diesem Land steht. Die S-Bahn dagegen ist entstanden im Zusammenhang mit der Ausweitung der Großstadt Berlin, mit der Schaffung der Industriestadt Berlin, wofür das Verkehrsnetz in der Vergangenheit einmal systematisch ausgeweitet und entwickelt wurde. Eine der zentralen grünen Positionen ist von Anfang an die Feindlichkeit gegenüber dem Verkehr. Verkehr ist nach der grünen Logik per se schlecht und muß so weit wie möglich vermieden werden. Diese Richtung greift zwar pro forma bisweilen für den Bahnverkehr Partei, aber dann hat das vor allem die Funktion, die Bahn gegen die Mobilität per Auto auszuspielen. Aber wenn es konkret irgendwo um den Ausbau der Bahn geht, ist die grüne Richtung sehr schnell dagegen auf dem Plan.

Die Lösung gegenwärtig von der Bundesregierung zu erwarten, heißt den Bock zum Gärtner machen. Der Bund ist doch schon jetzt der Besitzer des Bahnkonzerns und hat die Bahn AG selbst ins Leben gerufen und die Verantwortlichen dort eingesetzt. Der Ansatz, daß sich Bahnbeschäftigte und Fahrgäste verbünden und gemeinsam den Erhalt einer funktionierenden S-Bahn fordern, wozu es im letzten Jahr Ansätze gab, geht in die richtige Richtung.

 

 

 

 

 

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*) Das Aktionsbündnis Nahverkehr, das sich anläßlich des S-Bahn-Chaos des letzten Jahres gegründet hatte, ein Zusammenschluß von Interessierten und Beschäftigten der S-Bahn, hatte die folgenden gemeinsamen Forderungen beschlossen:


Für Berlin und das Umland

   Einen Nahverkehr in öffentlicher Hand, dessen Ziel nicht Gewinnstreben, sondern die Mobilität der Bevölkerung ist.

   Die öffentlichen Zuschüsse dürfen nicht mehr als Gewinn abgeführt werden.

   Erhalt und Ausbau aller S-Bahn-Strecken. Erhalt der S-Bahn als einheitliche Struktur.
Für die Fahrgäste

   Fahrpreissenkungen, statt ständige Erhöhung. Oft wurden Preiserhöhungen mit „teuren Personalkosten“

gerechtfertigt, dabei ist das Personal seit Jahren abgebaut worden!

   Ein Sozialticket nicht über 14,60 Euro im Monat im Bereich ABC! (das ist der Hartz IV-Regelsatzanteil [für Fahrkosten-w.g.])
Für die Beschäftigten

   1.300 neue Festeinstellungen, um wieder auf eine Personalstärke von 2004 (4.200 Beschäftigte) zu kommen!

   Keine Leiharbeit und   keine Befristungen.

   Stopp dem Privatisierungsprozess.

   Keine weiteren Ausgliederungen! Die S-Bahn muss als ein Gesamtbetrieb erhalten bleiben! Ausbildung, Instandhaltung, Fahrdienstleitung, Aufsicht, Sicherheit, Reinigung und betriebliche Sozialeinrichtungen gehören zusammen.

   Die Aufsichten müssen wieder auf alle Bahnhöfe.

   Keine weiteren Werkstattschließungen!


 

 

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