Internet Statement 2015-46

 

Wo ist die „Willkommenskultur gegenüber der eigenen Nachkommenschaft“?

 

Klas Ber  23./24. 9. 2015      


Es ist eine Sache, den Menschen, die gezwungen sind wegen des Krieges in ihrem Land, wegen Verfolgung, zu fliehen, Hilfe, Aufnahme, Unterkunft und auch Arbeit zu geben; eine würdige Aufnahme zu geben. Das ist so gut wie richtig, wie es eine Selbstverständlichkeit ist. Es bedarf aber keines derartigen Hype, wie er in den Medien dazu veranstaltet wird. Warum wird das dermaßen hoch gepusht? Damit wird nur über verschiedene andere Dinge hinweg getäuscht, die hierzulande faul sind aber dabei eine Rolle spielen. Ganz im Interesse des Kapitals und der regierenden, politisch herrschenden Bourgeoisie ist das. Die offiziöse Heuchelei sozusagen.

Man darf nicht vergessen, auf welchen Verwerfungen das Ganze eigentlich beruht. Was der Hintergrund ist und wer dafür die Verantwortung bzw. Mitverantwortung trägt. Was sowohl diese Länder betrifft, die durch Kriege derartig zerteilt und zerstört werden, als auch die hiesigen ökonomischen und gesellschaftlichen Verwerfungen durch die Bourgeoisie, die in der sog. demographischen Frage ihre Zuspitzung findet. Das könnte der Bourgeoisie so passen. Nein, bei aller Anteilnahme und Hilfeleistung darf man den politischen Verstand ja nicht ausschalten.

So richtig wie selbstverständlich es ist, den Kriegsflüchtlingen die notwendige Hilfsbereitschaft entgegenzubringen, so sehr steht es doch gleichzeitig auch in krassem Gegensatz dazu, was hier zu Lande den Arbeitenden, den unteren Schichten, den ganzen in prekären Verhältnissen Beschäftigten und Lebenden, und vor allem der eigenen gesellschaftlichen Nachkommenschaft entgegen gebracht wird. Manche sprechen da von kinderfeindlicher Kultur, die hier herrscht. Fakt ist erstmal: es werden einfach zu wenige Kinder geboren, und die Geburtenrate liegt schon lange unter der für die gesellschaftliche Reproduktion notwendigen. Und das ist für alle nicht schwer zu sehen. Wo bleibt denn da die notwendige „Willkommenskultur“ gegenüber der eigenen Nachkommenschaft, möchte man fragen?

Ja, da fragt man wohl vergebens. Denn Fakt ist auch, daß keine wesentlichen Anstalten gemacht werden, dieses so wichtige Problem überhaupt nur gesellschaftlich anzugehen und zum Besseren zu bringen. Statt dessen werden die gesellschaftlichen Verhältnisse, ökonomisch, politisch wie kulturell allenthalben weiter so verschlechtert und zersetzt, daß sie sich negativ auf die Geburtenrate wie auf die jüngere Generation auswirken muß.
Warum wird denn jeglicher Widerstand gegen die kinderfeindliche Politik, die hierzulande herrscht, immer gleich versucht, in eine rechte Ecke zu stellen und verhetzt? Dabei ist das die Kernfrage für jede Gesellschaft. Ein ökonomisches und polisches System, das nicht zur ausreichenden Entwicklung der eigenen Nachkommenschaft, sondern zu deren Reduzierung führt und wiederholt umstrukturiert werden muß, damit eine Oberschicht davon leben kann, taugt nicht. Das muß weg. So eine grundsätzliche Fragestellung aber soll erst gar nicht aufkommen.

Und nun will man den Menschen weis machen, daß die Flüchtlinge, daß Einwanderung die Lösung für die demographische Frage sei. Aber es ist die Bestrebung, das System der Ausbeutung auf diese Weise weiter aufrecht zu erhalten, die dahintersteckt. An die Ursache wird dabei nicht gegangen.
Erst einmal ist der internationale Austausch mit anderen Ländern, der gegenseitige Zuzug ins Land und die Verschmelzung verschiedener Bevölkerungen miteinander gerade in einer modernen Welt etwas ganz normales und begrüßenswertes. Das ist nicht der Punkt. Und vielleicht ist es in Anbetracht dessen, was hier die kapitalistische, imperialistische bürgerliche Politik bereits angerichtet hat, erst einmal unumgänglich so zu verfahren, indem man versucht, Freiwillige zu gewinnen. Das hat aber bisher nicht so richtig geklappt, weshalb man jetzt die Gelegenheit mit den Flüchtlingen nutzen will. Nur ändert das am reaktionären Charakter des Systems eben gerade nichts. Die Flüchtlinge sind zudem weder freiwillig geflohen, noch freiwillig hier.
Und da mag man sich ökonomisch noch so glänzend präsentieren, das ist die Oberfläche. Es gibt keinen Grund, dieses System als ein so tolles zu feiern.

Nein, es sind diese Verhältnisse hier, die im Kern schon faul sind. Und da gibt es kein darüber hinweggehen, bei aller Empathie mit der Lage von Flüchtlingen.
Kapitalismus fußt grundsätzlich auf Ausbeutung der Arbeitskraft, und die damit verbundene Bourgeoisie lebt davon. Das ist nicht neu. Das ist international so, das ist hier so. Die Bourgeoisie ist an der Ausbeutung anderer Länder und Völker beteiligt und betreibt sie selbst, sie lebt auch davon. Mit der Globalisierung sind ihre Möglichkeiten gestiegen, und sie pfeift auch längst auf die eigenen Arbeiter hier, weil diese zu hohe Ansprüche stellen, Erfahrungen im Klassenkampf haben, und die Arbeiterklasse hier noch ein revolutionäres Potential darstellt. Lieber wird die Produktion von einem Land in andere Länder verlagert, oder man holt gern im Kampf unerfahrene Arbeitskräfte ins Land, gern auch solche, wo gegebenenfalls noch kulturelle Unterschiede geschürt werden können. Die Konkurrenz unter den Arbeitern, international wie im Lande, wird verstärkt und man spielt uns gegeneinander aus. Da hilft Mitleid oder eine verkleinbürgerlichte Solidarität nicht weiter, sondern man muß sehen, wie der Kampf unter geänderten Bedingungen geführt werden kann. Und mit wem es möglich ist, sich zusammenzuschließen.


Und wenn man hier von Staats wegen verstärkt auf Religion setzt, („Der Islam gehört zu Deutschland“), wenn von den Grünen dringend ein europäischer Islam gefordert wird auf der Grundlage der Verfassung, und das auch im Arbeitgeber-Verband eine Plattform bekommt, dann gehört das sicher nicht dazu, die Bedingungen zu verbessern, weder für der Kampf der Arbeiter noch für die Souveränität der Nation, sondern ist die unverhohlene Förderung von Reaktion gegen uns. Religion ist Privatsache, das gilt für alle, egal ob christlich, jüdisch, moslemisch oder andere. Die Trennung von Staat und Religion muß verteidigt werden.

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Nach materialistischer Geschichtsauffassung ist das in letzter Instanz bestimmende Moment in der Geschichte die Produktion und Reproduktion des wirklichen Lebens.“, kann man schon von Friedrich Engels lesen.
Dann sollten doch Kommunisten sehen, wie weit die Politik der Bourgeoisie hier schon an die gesellschaftliche Substanz geht und verstehen, daß es doch wohl zu den Aufgaben der kommunistischen- und Arbeiterbewegung gehört, sich um gesamtgesellschaftliche Fragen zu kümmern, wozu die demographische Frage gehört. Insbesondere brennend ist die Frage eines zu geringen gesellschaftlichen Nachwuchses. Und daß letztlich ja auch für Verhältnisse gekämpft werden muß, um auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens, ökonomische, politische wie kulturelle Verhältnisse zu erreichen, die Vorraussetzungen sind, deren Qualität und Zahl zu fördern. Dazu ist natürlich auch die Zersetzung, die auf diesem Gebiet läuft, zu bekämpfen.

Das Kapital war schnell angetan von den Flüchtlingen, zumindest ein Teil, um damit seinen Mangel an billigen und gut ausgebildeten Arbeitskräften zu lösen. Die waren mit ihrer Forderung beinahe schneller bei der Hand als die aktuelle Flüchtlingswelle hier ankam. Da ist so einiges von den direkten wie ihren politischen Vertretern zu hören. Dabei immer die eigenen Interessen verfolgend. So konnte man in der Presse, der Daimler-Chef wurde dabei zitierte, lesen:
„Viele Flüchtlinge seien jung, gut ausgebildet und hoch motiviert. “Genau solche Leute suchen wir doch", sagte der Daimler-Chef. Die Flüchtlinge seien für Deutschland eine große Chance. Ähnlich, wie vor Jahrzehnten die Gastarbeiter, könnten sie "uns helfen, unseren Wohlstand zu erhalten beziehungsweise zu vermehren". Um Flüchtlinge besser in den Arbeitsmarkt zu integrieren, forderte Zetsche ein Abschiebeverbot für Lehrlinge. Jugendliche mit Ausbildungsstelle sollten die Garantie erhalten, nicht ausgewiesen zu werden, sagte er.“
Oder der Vorstandsvorsitzende der Post, Frank Appel. Er forderte im "Handelsblatt", den Flüchtlingen rasch Arbeitsbewilligungen auszustellen, damit Unternehmen das Potential der Migranten nutzen könnten.
Das, zudem jetzt der Chef der Arbeitsagentur gleichzeitig zum Chef des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ernannt wurde, das hat es ja auch noch nicht gegeben. Der Zusammenhang wurde auch vom Innenminister selbst herausgestellt.
Daß die Menschen in Arbeit kommen müssen, ist nicht das Falsche daran. Aber was dabei noch laufen soll, das ist noch etwas anderes. Man darf nicht außer Acht lassen, auf welchen Verwerfungen das Ganze eigentlich beruht, und wer dafür die Verantwortung und Mitverantwortung hat.
Da wird gleich davon gesprochen, die bleiben hier, die werden hier integriert. Da wird gar nicht mehr daran gedacht, daß diese kriegsüberzogenen Länder erstmal die Ausbildung geleistet haben und für einen Aufbau auch wieder ihre Menschen brauchen, die kann man doch nicht einfach wegziehen. Und sollen etwa die Millionen Arbeitslosen, die uns das Kapital hier schon beschert hat, jetzt etwa außen vor bleiben? Das geht doch auch nicht, daß man die einfach beiseite läßt. Das sind Fragen, die das Kapital und ihre Politiker offensichtlich wenig interessieren. Und so etwas spielt auch den Rechten in die Hände, wie man schon sehen konnte. Die Bourgeoisie denkt sich, die spielen wir mal alle gegeneinander aus, je nachdem wie wir es brauchen. Das gilt es auch zu durchbrechen und zu sehen, wie das gehen kann, uns unter den neuen Bedingungen, im internationalistischen Sinne, im Kampf für die Interessen aller Ausgebeuteten zusammenzuschließen.

Nicht nur die Länder, aus denen diese Menschen kommen, werden so gleich auf mehrfache Weise geschädigt, wenn diese rausgezogen werden. Denn nichts anderes beinhaltet so ein Vergleich mit den „Gastarbeitern“.
Erst werden die Länder mit Krieg überzogen und aufgerieben, viele müssen fliehen, und dann entzieht man dem Land dabei auf diese Weise auch noch endgültig viele, gerade junge Kräfte. Und gleichzeitig wird damit hier in einer alternden Bevölkerung ein wesentlicher aktiver Teil dadurch ersetzt. Und warum, um „unseren Wohlstand zu erhalten beziehungsweise zu vermehren". In solchen Äußerungen kommt genau der hiesige Parasitismus des Imperialismus zum Ausdruck.

Man mischt mit, unterstützt bestimmte verschiedenste oppositionelle Kräfte, egal wie reaktionär die sind, trägt bei, daß sich die dortigen Konflikte verschärfen, bis zur bewaffneten Auseinandersetzung. Für den Frieden in diesen Ländern hat man sich nicht eingesetzt. Wenn man es jetzt mal tut, hat es so seinen Beigeschmack. Es geht jedesmal vorgeblich um den Sturz eines Regimes. Das ist der Ansatz zur Einmischung oder Intervention. Was rauskommt ist jedesmal ein „failed state“. Zufall ist das nicht.

Die Verwerfungen betreffen auch die hiesige Gesellschaft, gerade die hiesigen, sozusagen eigenen, Arbeitskräfte.
Mit dem Abbau von Produktion im Lande, ihrer Verlagerung in andere Länder um dort billige Arbeitskräfte auszubeuten, der regelrechten Verwerfung einer ganzen Produktivkraft im Energiesektor, massenhafter Freisetzung sehr vieler Arbeiter wie auch Angestellter hier durch das Kapital, letztlich ihrer Überflüssigmachung, mit der Umwandlung vieler Arbeiten in derartig prekäre Beschäftigungsverhältnisse, die allein zum Leben vielfach nicht mehr reichen - will da jemand sagen, dies seien keine materiellen, ökonomischen und gesellschaftlichen Faktoren, die sich letztlich auch in einer niedrigen Geburtenrate niederschlagen müssen?

Es ist gar nicht so lange her, da mußten Gewerkschaften und Betriebsräte darum kämpfen, daß junge Menschen nach ihrer Ausbildungszeit von den Firmen übernommen wurden. Da wurden extra Tarifverträge durchgesetzt, daß zumindest erstmal allen nach der Ausbildung ein Arbeitsverhältnis angeboten wird und sie mindestens eine 12 Monate befristete Weiterbeschäftigung erhalten. Von den ständigen Klagen, daß von den Betrieben überhaupt zu wenig ausgebildet wird, kann man immer wieder in der Presse lesen. Und jetzt geht es dem Kapital nicht schnell genug, wieder an die jungen, gut ausgebildeten und billigen Arbeitskräfte unter den Flüchtlingen zu kommen. Diese vorgebliche zur Schau getragene Besorgtheit vom Kapital und ihren Politikern stinkt nur so zum Himmel.

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Die Kolleginnen und Kollegen der Kitas stehen jetzt auch vor der Weiterführung ihrer Auseinandersetzung, auch mit Streik. Den Schlichterspruch hatten sie, auch entgegen ihrer Gewerkschaftsführung, abgelehnt. Und sogleich wird die Bevölkerung von der Presse negativ darauf eingestimmt. Die gleiche Presse, die gern eine „Willkommenskultur“ einfordert, aber wenn es um Streiks von Kolleginnen und Kollegen der Kitas geht, da kennt sie selbst keine. Da lauten Artikelüberschriften schon wieder „Kita-Streik droht“, „Kita-Eltern droht weitere Streikwelle“ und ähnliches.
Warum bitte sollte man denn darin eine Drohung sehen, wenn die Beschäftigten gezwungen sind, um die Anerkennung ihrer Arbeitsleistung und den entsprechenden Lohn zu streiken? Ja, es geht ihnen um mehr Lohn, aber eben gerade erklärtermaßen in dem Zusammenhang, daß die Berufe im Sozial- und Erziehungsdienst eine Aufwertung erfahren sollen, mehr gesellschaftliche Wertschätzung erfahren. Und ist das nicht vonnöten? Aber dafür soll bislang kein Geld da gewesen sein. Jede weitere Verhandlung wurde bisher dermaßen strikt abgelehnt, daß man sich nur wundern kann.

Wenn jetzt die Familienministerin Schwesig (SPD) äußert, "Wir brauchen für alle Kinder, Flüchtlingskinder und in Deutschland geborene Kinder, Plätze in Schulen und Kitas", kann man dem soweit zustimmen. Aber daß die Mittel dafür ausgerechnet "aus dem freiwerdenden Betreuungsgeld“ genommen werden sollen - die Grünen fordern das sowieso - dem kann man nicht zustimmen. Das beschneidet doch gleich wieder für einen anderen Teil die notwendige Unterstützung.

Paare, Familien, Einzelerziehende, die ihre Kinder erstmals selbst großziehen wollen und ihren Nachwuchs nicht unbedingt diesen Staatseinrichtungen anvertrauen möchten, müssen genauso unterstützt werden und genauso finanzielle Zuwendungen erhalten, warum denn nicht? Das hat doch ebenfalls seinen gesellschaftlichen Wert. Das darf nicht gegeneinander ausgespielt werden.


Bei der Kita-Auseinandersetzung ist doch der Zusammenhang zu der Geburtenfrage im Lande so naheliegend wie nur was. Und warum sollte dies von den Gewerkschaften da nicht mit behandelt werden.
Unsere Kinder sind unsere Zukunft, das hört man oft. Aber nicht so oft ist zu hören, daß man auch um die gesellschaftlichen Verhältnisse, die dazu gehören und Vorraussetzung sind, daß genügend Kinder geboren werden und heranwachsen können, kämpfen muß. Damit der Wunsch nach Kindern, den die allermeisten Paare haben, sich durchsetzen kann und nicht von den herrschenden Verhältnissen unterdrückt wird und verschütt geht, muß man sie ändern.

Überhaupt müssen Arbeiter und Angestellte mal mit anderen Maßstäben rangehen. Auch der gewerkschaftliche Kampf kann sich nicht an den Interessen des Kapitals ausrichten. Mit „Gute Arbeit“ kommt man nicht weiter, dümpelt eher doch im Kielwasser eines Daimler-Chefs dahin. Um eine Perspektive zu eröffnen, muß für gesamtgesellschaftliche Verhältnisse gekämpft werden, die ökonomisch, politisch wie kulturell so sind, daß z.B. Paare mehrere Kinder, mindestens 2, 3 Kinder bekommen und großziehen können, mit dem entsprechendem Lohn, Wohnung, Bildungseinrichtungen, was dazugehört.



 

 

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