Internet Statement 2015-49

 

 

Flughafen BER
Milliarden in den Sand gesetzt? In Berlin kein Problem!

 

Wassili Gerhard   27.09.2015      

Mittlerweile wird ernsthaft der Abriß der bisher gebauten Flughafengebäude erörtert. Die quasi Bankrotterklärung für den Berliner Flughafen BER kommt nicht völlig überraschend. Schon vor vielen Monaten äußerte ein Bekannter, der dort zu tun hatte und einiges miterlebt hatte, die Ansicht: Man sollte alle Berliner aufrufen, sich zu holen, was sie gebrauchen können, und dann den übrig gebliebenen Rest sprengen und neu anfangen. Wenn es jetzt auf einen Abriss oder größeren Teilabriss hinauslaufen sollte, wäre dieser Bekannte ja schlauer als die Betreiber gewesen, zumal man viele Kosten gespart hätte, die seitdem angefallen sind, wenn man alleine an die nicht abschaltbare Festbeleuchtung denkt, die schon viele Millionen verschlungen hat, oder den Geisterzug, der regelmäßig den Bahnhof anlaufen muß, damit dieser nicht verschimmelt, die Bewachung des Geländes etc.

 

Auch berichteten Handwerker, daß die Leitung der Arbeiten völlig chaotisch abgelaufen sei. Es seien im Inneren so viele außerplanmäßige Änderungen nachträglich vorgenommen worden, daß dort sowieso vieles schon einmal abgerissen und neu gebaut worden ist. Sie wiesen auf den wichtigen Punkt hin, daß damit viele Firmen, die dort Arbeiten ausführen, aus der Gewährleistungspflicht entlassen sind, weil die ursprüngliche Planungsgrundlage nicht mehr existiere, und so könnten sie jetzt eigentlich machen, was sie wollen, ohne regreßpflichtig gemacht werden zu können. Daß dies von manchen genutzt wird, um die Kosten hochzutreiben und abzusahnen, ist doch klar. Es geht doch schließlich nicht zuletzt um Profit. Wer nicht völlig gewissenlos ist, kann allerdings angesichts solcher Zustände die kalte Wut bekommen oder verzweifeln.

 

Dies zum Bild des ganzen chaotischen Projektes, das durch eine ganze Reihe von Aufdeckungen schon zunehmend sichtbar wurde. In Berlin muß es anscheinend alle paar Jahre einen großen Skandal im Zusammenhang mit der Baubranche geben, das gehört hier zum System. Wer erinnert sich noch an den Steglitzer Kreisel, Garski-Skandal, Antes-Skandal, Bankenskandal, um die größten zu nennen. In dieser Stadt, bzw. in ihrem ehemaligen Westteil, hatte die Baubranche eine zunehmend wichtige Stellung, da andere Branchen teilweise wegen des eingemauerten Zustands abwanderten, sofern sie nicht mit fetten Subventionen hier gehalten werden konnten. (Oder auch damit neu angelockt) Die Bau- und Wohnungsbranche wurde lange mit extra fetten Subventionen gefüttert und entwickelte das Abgreifen von Subventionen zu ihrer besonders hervorstechenden Qualifikation. Manchmal eben etwas zu dreist, die Grenze zum Kriminellen war fließend.

 

Auch der Bankenskandal kurz nach der Jahrtausendwende, als die Landesbank Berlin mit ihren Tochtergesellschaften mit Bürgschaften, letztlich des Steuerzahlers, in Milliardenhöhe gestützt wurde, um eine Insolvenz zu verhindern, hatte einen entsprechenden Hintergrund. Kern des Problems waren Investmentfonds, in die Immobilien mit völlig überhöhter Bewertung gesteckt wurden. Diese waren von der hiesigen Bauwirtschaft oft völlig am Bedarf vorbei gebaut worden. Der Kauf zu überhöhten Preisen durch die halbstaatliche Landesbank, eine Verbindung von staatlichen und privatwirtschaftlichen Instituten, wo man die Gewinne privatisieren und die Verluste dem Steuerzahler aufbürden konnte, löste scheinbar zunächst die Probleme. Diese Fonds wurden zu besonders lukrativen Konditionen angeboten, spezielle „Prominentenfonds“ noch einmal lukrativer. Das hielt eine Zeit lang eine Art Schneeballsystem in Gang. Der sprichwörtliche „Filz“ von Bauwirtschaft und Senatsparteien, der sich in „Frontstadt“-Zeiten gebildet hatte, wirkte hier offensichtlich weiter, und der wirkt bis heute weiter. Aber schließlich kam doch der Bankrott, dessen Kosten dann dem Steuerzahler aufgebürdet wurden.

 

Daß bei solchen Verhältnissen von Anfang an Skepsis angebracht war, ob in dieser Stadt ein solches Projekt wie der neue Flughafen BER zu stemmen ist, versteht sich. Man lernt doch offenbar nichts dazu. Bei vielen gibt es anscheinend nicht mal ein Problembewußtsein. In letzter Zeit gehen die Geschäfte ja teilweise auch wieder besser, weil Berlin Mode geworden ist, was einen gewissen Zuzug und hohe Touristenzahlen zur Folge hatte. So ist auch der Leerstand von Wohnungen und Büroräumen wieder zurückgegangen auf ein angeblich normales Maß, und Bilder wie in manchen ostdeutschen Städten, wo ganze Straßenzeilen verfallen, haben wir hier derzeit nicht. Die Mieten steigen kräftig und werden für die Ärmeren immer mehr zum Problem. (Wohnungen wurden hier allerdings vor wenigen Jahren noch abgerissen, so in den Plattenbausiedlungen, und fehlen jetzt. Angeblich sollen jetzt auch Unterbringungsmöglichkeiten für Flüchtlinge fehlen.) Aber daß eine Mode eine Sache ist, die auch mal zuende sein kann, so weit denkt anscheinend niemand. Im Ruhrgebiet denkt man z.B. auch schon darüber nach, ob man nicht die verfallende alte Industriestruktur und heruntergekommene ehemalige Wohngebiete der Industriearbeiter zur malerischen Kulisse erklärt und sich einen ähnlichen Wahlspruch wie „Arm aber sexy“ zulegt und auf Tourismus macht. Soetwas hat sicher keinen langen Atem. Der Abbau der Industrie wird sich auf die Dauer rächen, das wird lediglich herausgezögert.

 

 

Die Unfähigkeit des Managements heute

 

Ein Wort muß noch über die jetzige Generation von Managern gesagt werden, was sicherlich auch eine Rolle spielt. Woher kommt deren offensichtliche Unfähigkeit? Diese sind in der Tat oftmals recht abgehoben und realitätsfremd. Um das zu verstehen - zumindest einen wichtigen Aspekt - , muß man etwas weiter zurückgehen. In den achtziger Jahren gab es eine Welle in der Industrie vor allem, von Japan zu lernen, (wo vor allem Toyota erfolgreich mit neuen Formen der Arbeitsorganisation experimentierte) und Gruppenarbeit einzuführen. Damals wurden viele Lenkungs- und Organisationsfunktionen nach unten, zu den arbeitenden Menschen verschoben, die Administrationskette wurde ausgedünnt, und die Vorgesetzten sollten nur noch „Coach“ sein. Die Taktarbeit sollte beseitigt werden (Stichwort Fordismus) und die Arbeitenden sollten selbständiger agieren lernen in der „schlanken Produktion“ (Lean Production). Das wurde auch von den Beschäftigten überwiegend gut angenommen, da die Arbeit weniger eintönig wurde. (Nebenbei: Diese Taktarbeit ist nicht verschwunden, findet aber heute vor allem in Asien statt.) Aber natürlich wurde später vieles von der Profitgier wieder kaputtgemacht, als man dann die Erfolge in der Effektivität der Produktion hemmungslos in Abbau der Belegschaft ummünzte und so stellenweise den permanenten Notstand schuf. Und da die Industrie hier überwiegend nicht wächst, sondern stattdessen in anderen Regionen der Erde, ist ein ständiger Abbau und die Schaffung einer strukturellen Arbeitslosigkeit seit langem Realität, was einen erheblichen Druck auf die Beschäftigten erzeugt.

 

Davon zehrt man vielerorts bis heute. Was geblieben ist, ist eine Arbeitskultur, in der der Arbeitende an der Basis verantwortlich dafür gemacht wird, daß alles läuft. Er soll in seinem Bereich quasi unternehmerisch denken. In manchen Funktionen, wo früher nur Anweisungen ausgeführt wurden, werden heute in erheblichem Maße auch Planungs- und Organisationsaufgaben wahrgenommen, auf die Kosten gesehen, etc. Die Vorgesetzten von einer gewissen Ebene aufwärts dagegen müssen heute vor allem die Anforderungen des Kapitals nach unten weiterreichen, Forderungen nach Gewinnmargen und Mitteln zur Tilgung der Kredite, ohne sich allzu viel darum zu kümmern, wie das zu verwirklichen ist. Z.B.: Soundsoviel weniger Gewinn = soundsoviel weniger Belegschaft. Wenn sie nicht wissen, wie das gehen soll, werden externe Beraterfirmen ins Haus geholt, die nach Wunsch etwas konstruieren. Es gibt sogar Anhänger einer „Chaostheorie“, die meinen, man müsse vor allem für ständig sich ändernde Bedingungen sorgen, so daß keine Routine aufkommt, um die Belegschaften zu Höchstleistungen anzuspornen, und damit kein Status Quo sich verfestigt, der dann von den Arbeitenden verteidigt wird. Dabei wird bisweilen ein chaotischer Zustand ausgelöst. Darum hat mancher an der Basis das Gefühl, daß er die ganze Last auf seinen Schultern trägt, in ständiger Hektik arbeitet und ihm von weiter oben nur Knüppel zwischen die Beine geworfen werden. Die Zunahme von psychischen Krankheiten in der Arbeitswelt hat wahrscheinlich vor allem hier ihre Ursache. Der Widerspruch, daß man eigentlich gerade hierzulande gut sehen kann, daß eine Wirtschaft auch ohne Kapitalisten funktionieren würde, auf die Dauer auch besser, wenn die Fähigkeiten und die Initiative der Arbeitenden richtig entwickelt werden - daß aber auf der anderen Seite das Proletariat hierzulande so ausgedünnt und demoralisiert ist, daß ihm gegenwärtig die Durchsetzungskraft dafür fehlt, das springt eigentlich ins Auge.

 

 

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