Internet Statement 2020-69

 

Die Habersaathstraße geht alle an

Wassili Gerhard 30.10.2020   

Gestern gab es eine Besetzung in Berlin, in der Habersaathstraße in Mitte durch Wohnungslose und Unterstützer, aber leider prompt, noch in der Nacht, wieder die Räumung durch die Polizei, wobei die letzten Mieter des Hauses, die schon seit Juni 2019 gekündigt sind, weiter dort wohnen. Das immerhin hat man sich nicht getraut, sie gleich mit raus zu setzen. Ihnen sollte unsere ganze Unterstützung gehören, denn sie verteidigen guten, bezahlbaren und sogar modernen und sanierten (!) Wohnraum, der einzig und allein aus Spekulationsgründen abgerissen werden soll.

Dieses Haus wurde ursprünglich in den achtziger Jahren als günstige Wohnmöglichkeit für Beschäftigte der Charité gebaut, kam nach der Wende – wie so viele Häuser in öffentlichem Besitz – für einen sehr geringen Preis in private Hände und wurde vom neuen Besitzer umfassend saniert, auch energetisch saniert, was die Mieter inzwischen komplett über die entsprechend erhöhte Miete bezahlt haben. Aber jetzt sollen sie ausziehen, weil die Miete nicht mehr genügend weiter gesteigert werden kann.

Es ist also ein „energetisch saniertes“, relativ modernes Haus, das für eine erschwingliche Miete Wohnungen nach modernem Standard bietet, wie sie heute dringend gebraucht werden. Menschen wohnen in Notunterkünften oder sind auf der Straße, weil es nicht genug solche Wohnungen in der Stadt gibt. Wohnungslose in diese Wohnungen zu setzen, die einzig aus Spekulationsgründen leer stehen, wäre eigentlich die Aufgabe einer Verwaltung, die irgendwie gegenüber der Allgemeinheit eine Berechtigung ihrer Tätigkeit vorweisen will. Auch für Beschäftigte der Charité, die nicht gerade fürstlich bezahlt werden, könnte man hier mehr tun, als zum Klatschen vom Balkon aufzufordern.

Schon vor dem letzten Besitzerwechsel standen dort Wohnungen leer und wurden als Ferienwohnungen zweckentfremdet. Aber der neue Besitzer schießt den Vogel ab in punkto Profitgier und Mißachtung aller sozialen Verantwortung. Da er nun für das Haus in begehrter Lage eine zweistellige Millionensumme hinblättern mußte, das Mehrfache dessen, wofür es der erste Besitzer bekommen hat, ist es für ihn angeblich wirtschaftlich zwingend erforderlich, das moderne, sanierte Haus abzureißen und stattdessen dort Luxuswohnungen zu bauen, aus denen er mehr herausschlagen kann. Das BND-Gelände nebenan verspricht genügend entsprechend zahlungskräftige Mieter. Schließlich muß er doch seine teure Investition entsprechend mit Rendite versehen, und mit weiterer Modernisierung ist das nicht mehr zu bewerkstelligen. Der Wohnzweck der Häuser verschwindet hinter dem Renditezweck, sie sind nur noch spekulative Geldanlage, die Mieter stören nur noch. Der Besitzer verdient allein schon an der Wertsteigerung der Immobilie, ohne einen Handschlag, aber das reicht ihm nicht.

Entsprechend hat er mit allen Mitteln die Mieter loszuwerden versucht, so hat er den heutigen Leerstand erreicht, nicht etwa, weil diese Wohnungen niemand haben will. Dazu sind sowohl Herauskaufen als auch Bedrohung und Einschüchterung eingesetzt worden, dem Vernehmen nach. Je leerer das Haus, desto größer der Druck auf die verbliebenen Mieter. So läuft das auch in anderen Fällen.

Ist es da fernliegend, daß offene Fenster in ehemaligen Ferienwohnungen im Winter, für die man angeblich den Schlüssel nicht findet, nicht als Zufall gesehen werden und ein Brandanschlag auf das Auto von Daniel Dieckmann, der dort die ganze Zeit Widerstand leistet und als Sprecher nach außen für die Mieter auftritt, für Manchen auch verdächtig nach gezieltem Terror aussieht? Der Täter dieses Anschlags wurde bis heute nicht ermittelt. Schließlich bekamen die letzten Mieter im Juni 2019 die Kündigung, aber blieben drin, weil sie den dringend benötigten bezahlbaren Wohnraum, auch von ihnen selbst benötigt, nicht der Abrißbirne preisgeben wollen.

Sie verweisen auch mit Recht darauf, daß hier die Berliner Zweckentfremdungsverordnung nicht angewandt wird, die erst 2018 verschärft wurde, aber nicht genutzt wird. Die würde es ermöglichen, bei spekulativem Leerstand zwangsweise Mieter in die Wohnungen zu setzen. Die Habersaathstraße mit mehreren Aufgängen ist nicht der einzige Häuserkomplex, wo diese Möglichkeit nicht genutzt wird. Angeblich hätte man kein Geld und keine Personalkapazität, heißt es seitens der Wohnungsämter, diese Verordnung umzusetzen und gegebenenfalls für jede Wohnung einen Prozeß führen zu müssen. Warum macht man dann solche Verordnungen? Um Aktivität gegen spekulativen Leerstand nur vorzutäuschen?

Wenigstens hat die BVV in Mitte die Berechtigung des beispielhaften Widerstands der Mieter öffentlich bekundet. Aber dem müssen auch Taten folgen. Das Einquartieren von Menschen, die in Berlin keine bezahlbare Wohnung finden, wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Eben das, was jetzt versucht wurde und mit Polizeigewalt verhindert wurde.

Der Widerstand der standhaften Mieter der Habersaathstraße sollte Schule machen! Sie haben größte Unterstützung verdient!

 

 

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