Internet Statement 2006-14

 

Indien-USA: ein "historisches Abkommen" über Nuklearfragen

                                                                          - aber was ist sein Inhalt?

 Walter Grobe, 4.3.2006      

 Die Verhandlungen des indischen Premierministers Singh und des US-Präsidenten Bush in Delhi hatten allen Berichten zufolge einen Schwerpunkt in der nuklearen Zusammenarbeit. Die US-Regierung würde sich von nun an für die Aufhebung des Embargos von Nukleartechnik und Nuklearbrennstoffen gegenüber Indien einsetzen, selbst in einen lebhaften Austausch mit Indien auf diesem Gebiet eintreten und dabei akzeptieren, daß Indien mit seiner eigenständigen atomaren Bewaffnung weiterhin außerhalb des sog. Atomwaffen-Sperrvertrags bleibt. Lediglich von den zivilen Nuklearanlagen würde Indien einen Teil der Kontrolle der IAEA, des Überwachungsorgans des Atomwaffen-Sperrvertrags, unterstellen.

In der Tat,  sollten diese Erklärungen realisiert werden, dann könnte man von einem "historischen Ereignis" sprechen, denn der Atomwaffen-Sperrvertrag, ein ganz zentrales Instrument der militärischen und ökonomischen Hegemonie der USA (ursprünglich der USA zusammen mit der Sowjetunion) würde exemplarisch außer Kraft gesetzt. Entsprechende Befürchtungen wurden sofort aus Führungskreisen der USA, aber auch aus anderen Ländern, laut.

Die Berichte über dieses Abkommen werfen jedoch mehr Fragen auf, als sie beantworten.  Was für Absprachen tatsächlich getroffen wurden und was davon realisiert wird, muß sich erst noch zeigen. In der gemeinsamen Erklärung von Singh und Bush wird die Nuklearfrage nur mit einem knappen, wenig konkreten Absatz erwähnt. Unter der Überschrift 

"For Energy Security And A Clean Environment "

 heißt es, Bush und Singh

 "(1) Welcomed the successful completion of discussions on India’s separation plan and looked forward to the full implementation of the commitments in the July 18, 2005 Joint Statement on nuclear cooperation. This historic accomplishment will permit our countries to move forward towards our common objective of full civil nuclear energy cooperation between India and the United States and between India and the international community as a whole.
(2) Welcomed the participation of India in the ITER initiative on fusion energy as an important further step towards the common goal of full nuclear energy cooperation."  

"(1) begrüßten den erfolgreichen Abschluß von Diskussionen über Indiens Trennungsplan und drückten die Erwartung aus, daß die Vereinbarungen des Gemeinsamen Statements v. 18. Juli 2005 über nukleare Kooperation voll realisiert werden. Diese historische Errungenschaft wird es unseren Ländern erlauben, uns dem gemeinsamen Ziel voller ziviler nuklearer Energiezusammenarbeit zwischen Indien und den USA sowie zwischen Indien und der internationalen Gemeinschaft als ganzer zu nähern.
(2) begrüßten die Teilnahme Indiens an der ITER-Initiative für Fusionsenergie als einen wichtigen weiteren Schritt in Richtung des gemeinsamen Ziels voller nuklearer Zusammenarbeit."
[eigene Übersetzung, wgr]  

Die Zeitung "The Hindu" gibt Erläuterungen aus Kreisen der indischen Regierung über den sog. Trennungsplan wieder. Es handele sich um einen von Indien erstellten Plan der Aufteilung seiner nuklearen Aktivitäten in zivile und militärische. Etwa 65% der nuklearen Energieerzeugung sollen unter die Kontrolle der IAEA gestellt werden. Seine Schnellbrüterprogramme wird Indien ausdrücklich nicht inspizieren lassen. Die volle Realisierung des Trennungsplans und die Aushandlung der Kontrollen mit der IAEA würden sich wohl bis 2014 hinziehen, hätten indische Vertreter gesagt.  

Unter der Überschrift "India, U.S. clinch deal on nuclear separation" schrieb die Zeitung am 3.3.06:

 "Dr. Singh, who is scheduled to share the separation plan with Parliament, described its preparation as the completion of a phase in the implementation of the July 18, 2005 framework agreement. After the U.S. approached Congress and the NSG, India would turn to the International Atomic Energy Agency (IAEA) to negotiate safeguards for its civilian facilities. "So, we have made very satisfactory progress," he said.
Official sources said the basis of the separation plan was the Prime Minister's February 27 statement to Parliament. About 65 per cent of India's nuclear power capacity would come under international safeguards. The fast breeder programme, however, would not be subject to safeguards.
The sources said the full implementation of the separation plan would take till 2014. Also, it would be India's sovereign decision to classify as civilian or military any future reactor it might produce."

"Dr. Singh, der plant, den Trennungsplan dem Parlament zu unterbreiten, beschrieb seine Vorbereitung als die Vollendung einer Phase in der Realisierung des Rahmenabkommens vom 18.Juli 2005. Nach dem Vorstoß der USA im Kongreß und bei der NSG ["Nuclear Suppliers' Group"] würde sich Indien an die Internationale Atomenergie-Agentur (IAEA) wenden, um über die Kontrollen für seine zivilen Anlagen zu verhandeln. 'Wir haben also einen sehr zufriedenstellenden Fortschritt gemacht'. sagte er.
Offizielle Quellen sagten, die Grundlage des Trennungsplans sei das Statement des Premierministers vom 27. Februar vor dem Parlament. Etwa 65% der indischen nuklearen Energiekapazität würden unter internationale Kontrollen kommen. Das Schnellbrüterprogramm allerdings würde Kontrollen nicht unterworfen werden.
Die Quellen sagten, die volle Verwirklichung des Trennungsplans werde bis 2014 dauern. Außerdem würde es Indiens souveräne Entscheidung sein, jeden ggf. zukünftig produzierten Reaktor als zivil oder militärisch zu klassifizieren." 

Ein solcher Trennungsplan ist noch keine konkrete Vereinbarung nuklearer Kooperation, sondern, wie Singh ausdrücklich sagte, nur eine Phase der Entwicklung in dieser Richtung. Bei dem "historischen Abkommen" handelt es sich also bisher lediglich um neue Absichtserklärungen der beiden Regierungen auf der Grundlage, daß man sich über die Trennungsvorschläge Indiens verständigt habe. Auf der Seite der USA ist es durchaus fraglich, ob Bush die Zustimmung der führenden Kreise für das erhalten wird, was er nun Indien versprochen hat. Opposition gegen die faktische Aufhebung des Atomwaffen-Sperrvertrags gegenüber Indien hat sich bereits deutlich zu Wort gemeldet. Ob im US-Parlament ein derartiger Vertrag mit Indien passieren wird, ist ungewiß. Noch vor wenigen Tagen hatte Bush selbst in den USA die Absicht geäußert, die Versprechungen vom Sommer 2005 zu revidieren und Indien auf den Status eines Landes herunterzubringen, das vom internationalen Nuklearkontrollregime unter der Führung der USA abhängt. Dies hatte in Indien zu Protesten geführt. Wenn Bush nun ganz anders redet, muß das keineswegs heißen, daß die Politik sich grundlegend geändert hat.

Mit keinem Wort erwähnt wird bisher die Frage, ob und wie die beiden Regierungen über die indische Atombewaffnung gesprochen haben. Daß diese in den Beziehungen beider Staaten nicht weiter eine große Rolle spielt, kann man sich jedoch schlecht vorstellen.  Ein Verhandlungsergebnis, daß Teile des zivilen Atomenergieprogramms unter IAEA-Kontrolle gestellt werden, während das militärische Programm beim Ringen um die zukünftigen Beziehungen völlig außen vor bleibt, mutet angesichts der tiefen Widersprüche zwischen den USA und Indien, aber auch der Widersprüche zwischen dem indischen Staat und bspw. China, aber auch anderen Staaten der gesamten Region merkwürdig an. Bisher hat es Indien verstanden, gewisse atomare Kapazitäten gegen große Widerstände des Imperialismus zu entwickeln. Nun erscheint es so, daß daran nichts geändert wird, während einige zivile Nuklearanlagen unter die Kontrollen der IAEA kommen sollen. Was aber sollen solche auf eine Nebensache beschränkten Kontrollen den USA bringen? 

 Was hier als der konkrete Inhalt der Absprache präsentiert wird, ist also schon in sich unklar und widersprüchlich. Die Frage drängt sich auf, ob hier nicht Dinge in die Öffentlichkeit gestreut werden, die von anderen Dingen, die geheim bleiben sollen, ablenken sollen. Worüber reden Bush und die indische Regierung außerdem noch? Es wäre nicht einmal überraschend, wenn die USA versuchten, Indien in eine Rolle als militärischer Bündnispartner hereinzuziehen, wodurch dessen atomares Waffenpotential zumindest zeitweise einen anderen Stellenwert für die USA bekäme. Wie konkret spricht man darüber im Geheimen? Wie die verschiedenen Parteien in Indien jetzt die Verhandlungen bewerten, wird interessant sein.

 Was ist der politische Rahmen des Bush-Besuchs? Offenkundig wird Indien von der US-Regierung stark umworben und bekommt Konzessionen angeboten wie selten andere Länder. Bestimmte Absichten der USA sind nicht schwer zu verstehen. Zusammen mit China, Rußland und anderen Ländern bildete Indien in den letzten Jahren eine Art Block gegenüber den globalen diktatorischen Ansprüchen der USA, vor allem auch seitdem diese im Gefolge der Ereignisse vom Sept. 2001 unter dem Etikett "Kampf gegen den Terrorismus" das militärische Interventionsrecht und Stützpunkte auch gerade im zentralasiatischen Raum beanspruchen und im Grunde einen Aufmarsch gegen alle drei genannten Länder betreiben. Indien aus diesem faktischen Block herauszulösen, um gegen China und Rußland wieder mehr Spielraum zu bekommen, die Staaten gegeneinander auszuspielen und natürlich auch Indien selbst letztlich besser in die Hand zu bekommen, ist der entscheidende Antrieb der aktuellen US-Politik gegenüber Indien.

 Unbestritten ergeben sich zwischen Indien und den USA große ökonomische Möglichkeiten für beide Seiten, und selbstverständlich ist es für Indien verlockend, seine enormen Energieversorgungsprobleme durch eine entgegenkommende US-Politik beim Handel mit nuklearen Materialien sowie auch fossilen Energieträgern etwas zu erleichtern. Aber dies ist keineswegs der Kern der US-Bemühungen, und wenn Bush selbst vor allem über Energiekooperation spricht, ist das ein Indiz dafür, daß es ihm vorrangig um Anderes geht. Und welche Politik verfolgt die indische Regierung?

 
Deutlich werden manche Hintergründe an der Iranfrage.

 Als im Juli 2005 Singh die USA besuchte und mit Bush die erste Absichtserklärung zur nuklearen Kooperation herausbrachte, war eine der unmittelbaren politischen Folgen, daß Indien seine Opposition gegen das Vorgehen der USA gegen den Iran fast demonstrativ zurückstellte. Die Pressionen der USA und anderer Staaten gegen Iran über die Frage der nuklearen Anreicherung, die Instrumentalisierung der IAEA für diesen politischen Druck trafen auf keine erkennbare Ablehnung Indiens. Ein zuvor vereinbartes strategisches Abkommen zwischen Indien und dem Iran über die Lieferung großer Gasmengen und den Bau einer Pipeline zwischen beiden Ländern unter Beteiligung Pakistans liegt seitdem auf Eis, sicher nicht nur wegen der Sabotage des pakistanischen Regimes, das bekanntlich ein ganz spezieller Verbündeter und Stützpunkt der USA ist. In diesem Sinne wurde auch von wichtigen politischen Parteien in Indien die erste Absprache Singhs mit Bush scharf kritisiert: die indische Regierung mache sich zum Werkzeug der USA gegen ein anderes Land, sie gebe ihre energiepolitische Unabhängigkeit auf.

Der jetzt mitgeteilte Deal hat weiterhin Bezug auch auf die Iranfrage. Der Iran ist Unterzeichner des Atomwaffen-Sperrvertrags und hat ausdrücklich auf die Entwicklung nuklearer Waffen verzichtet; noch nie konnten ihm – obwohl immer wieder behauptet -  verdeckte Aktivitäten auf diesem Gebiet nachgewiesen werden. Und diesem Land wird das elementare, im Atomwaffen-Sperrvertrag selbst garantierte Recht auf nukleare Anreicherung verweigert. Indien hingegen ist nie dem Atomwaffen-Sperrvertrag beigetreten und hat gegen alle internationalen Anfeindungen, vor allem eben auch der USA, seine atomare Technik sowohl auf dem militärischen wie den zivilen Sektor selbständig entwickelt. Und diesem Land gegenüber setzen die USA den Atomwaffen-Sperrvertrag faktisch außer Kraft, sie nehmen keinerlei Anstoß mehr - zumindest offiziell - an seiner atomaren Bewaffnung, bieten ihm im Gegenteil sogar Unterstützung für die Weiterentwicklung der nuklearen Technik an. Was hier an Widersprüchen aufklafft, dürfte in der nächsten Zeit die internationalen Auseinandersetzungen noch spannender machen. Schon verlangt Pakistan, von seinem Standpunkt aus nur logisch, von den USA ein ähnliches nukleares Entgegenkommen, wie es Indien gezeigt wird. Und das Nachbarland Iran soll nicht nur den Atomwaffen-Sperrvertrag sklavisch erfüllen, sondern sogar auf garantierte Rechte verzichten?

Gegenüber Indien wird der Atomwaffen-Sperrvertrag,  in dessen weltweite Durchsetzung die USA jahrzehntelang die größten Energien investiert haben, faktisch demontiert. Wie können sie nun noch weiter bei der Unterdrückung des Iran und anderer auf diesen Vertrag pochen?  Natürlich können die USA die Politik gar nicht aufgeben, der bei weitem dominante Kernwaffenbesitzer zu sein, die gesamte Welt nuklear erpressen zu können und möglichst alle Länder nuklear zu entwaffnen. Die Ziele des Atomwaffen-Sperrvertrag bleiben, aber um sich aus der Bedrängnis herauszuwinden, in die die USA der weltweite Widerstand gegen ihre monopolistischen und diktatorischen Ansprüche geführt hat, sind sie zu großen Umwegen und Konzessionen bereit - und verwickeln sich damit weiter.

Und wie muß man es nun verstehen, wenn die chinesische Regierung in ersten Reaktionen auf den Bush-Besuch sich an den Atomwaffen-Sperrvertrag klammert und Indien ermahnt, sich endlich auf dessen Boden zu stellen, die eigenen Kernwaffen ihm zu unterstellen, oder, wie es sogar in bestimmten Berichten als chinesische Stellungnahme berichtet wurde, sie abzurüsten? Warum kann diese Regierung nicht in etwa erklären: 'wir begrüßen die Konzessionen, die die USA Indien machen müssen; selbstverständlich hat Indien  ebenso wie wir und die anderen vom Imperialismus gedrückten Länder das Recht, Kernwaffen zu entwickeln, und wir bieten Indien unsererseits die Verstärkung der ökonomischen und politischen Zusammenarbeit in internationalen Fragen an, auch weil wir nicht daran interessiert sind, daß Indien sich zu eng an die USA bindet'? Wenn China Indien zum Atomwaffen-Sperrvertrag ermahnt, läuft dies in die entgegengesetzte Richtung. Zeigt sich hier nicht, daß die heutige chinesische Führung sich inzwischen selbst als Wächter der internationalen reaktionären Machtstrukturen versteht, auch wenn die USA deren derzeitiges Führungszentrum bilden (- die China etwa zu beerben gedenkt)?  Verbundenheit mit den Interessen anderer Länder, sich von der Vorherrschaft der USA und der internationalen Kapitalsdiktatur zu emanzipieren, die bisher vor allen anderen von den USA vertreten wird, spricht jedenfalls nicht aus solch einer Stellungnahme.

Eine ähnliche reaktionäre Mahnerrolle nehmen große Teile der bundesdeutschen Medien ein, die gar kein Hehl aus ihrer Besorgnis machen, daß die Vereinbarung zwischen den USA und Indien zur Erosion des internationalen Regimes des Atomwaffen-Sperrvertrag beitragen könnte.

Die derzeitigen Gespräche zwischen Indien und USA sowie auch die anderen Aspekte der diplomatischen Offensive von Bush, wie z.B. der Besuch in Pakistan, werfen viele z.T. neue Fragen auf. Wie wir bereits bemerkt haben, sind Bemühungen, das bisherige Regime der beanspruchten absoluten Kontrolle aller nuklearen Aktivitäten in der Welt mittels eines Atomwaffen-Sperrvertrag aufrechtzuerhalten, angesichts der Lockerung, die Bush bei  der internationalen Entwicklung der Kernenergie zuzugestehen gezwungen ist, noch reaktionärer als Bush selbst.

 

 

 

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Zur Frage der weltweiten Entwicklung der Nuklearenergie
und der Unabhängigkeit der Länder:

Indische Zeitungen empören sich über Bush  
IS 2006-12   23.02.06


Der Konflikt über den Iran
Thesen und Ausgangspunkte 
14. Februar 2006

 

Rubriken:

Über den Atomwaffen-sperrvertrag (NPT) und die atomare Frage

Zur Frage der Kernenergie