Internet Statement 2006-41

 

Die Demo vom 3. Juni  - ein Erfolg?

Klas Ber 6.6.06     

Letzten Samstag, am 3. Juni, fand in Berlin eine bundesweite Demo gegen den Sozialkahlschlag statt, für die schon seit längerem mobilisiert wurde. Unter dem Motto: „Schluss mit den „Reformen“ gegen uns!“ zogen einige Tausende Demonstranten vom Roten Rathaus aus durch Mitte und wieder dahin zurück. Während der Demonstration gab es wiederholt gewaltsame Übergriffe der Polizei, wurde gewaltsam von Polizeieinheiten in die Demo eingedrungen und es gab Verletzte. Mittlerweile gibt es zur Demo sowie zu den Polizeiübergriffen etliche Berichte.

Man mußte aber feststellen, daß es für eine bundesweite Demonstration doch herzlich wenig Teilnehmer waren. Die Angaben, die von den Veranstaltern darüber auf der Demo gemacht wurden, waren sehr übertrieben. Angeblich seien es 15 000 gewesen, wurde dort gesagt. Das entsprach sicher nicht den Tatsachen und war eher ein Wunsch und der Versuch der Veranstalter, ihren Mißerfolg zu überdecken. Hauptsächlich waren es die unermüdlich Aktiven der Bewegung, die gekommen waren. Davon daß der Aufruf Betroffene oder die Bevölkerung massenhaft mobilisiert hätte, selbst vor Ort aus Berlin und Umgebung, kann nicht die Rede sein. Und das, obwohl für die Demo, wie die Organisatoren selbst schreiben, ein breites Bündnis aus Gewerkschaftsgliederungen von ver.di, IG-Metall, ATTAC-Deutschland, Friedens- und Migrantenorganisationen, Studentenorganisationen gegen Studiengebühren, sowie fast allen Erwerbsloseninitiativen“ aufgerufen hatte, und dann noch gerade in der Woche vorher eine weitere Verschärfung bei den Hartz IV Gesetzen durch den Bundestag verabschiedet wurde.

Einzelne Kommentare nach der Demo werfen wenigstens schon mal die Perspektivfrage auf. Von den Organisatoren selbst allerdings scheint da nichts zu kommen. Auf der Abschlußkundgebung - und das kann man jetzt im Nachhinein auch wieder lesen - hieß es bei ihnen: „Einig waren sich die Veranstalter, dass der Protest nur der Anfang war und man die Aktionsformen intensivieren wird“. Da sei mal an ihren eigenen Aufruf zu Demo erinnert, da hieß es: Mit der bundesweiten Demonstration am 03.06.2005 knüpfen wir an die großen Mobilisierungen gegen den sozialen Kahlschlag der letzten 2 Jahre an.“ 
Die große Demonstration vom 1.Nov. 2003 in Berlin war der Anfang und der Auftakt, der noch wesentlich von unten angeregt und organisiert worden war, die sich gegen den öffentlichen Druck behauptet hatte und mit ihren 100.000 Teilnehmern erstmal wirklich ein Erfolg war. Im weitern allerdings wurden die Protestdemos dann schon mehr und mehr von der Gewerkschaftsführung vereinnahmt, die sich unberechtigterweise an die Spitze setzte und den Protest in immer flachere Bahnen kanalisierte. Auch die spontan entstandene Montagsdemobewegung flaute u.a. mangels inhaltlicher Perspektive relativ schnell wieder ab.

Wenn die Organisatoren nun ihre Demo wieder als Anfang hinstellen, so stimmt das einfach nicht. Sie machen sich selbst, aber vor allem Anderen etwas vor. Ihre Politik hat tatsächlich keine Perspektive. Sie ignorieren permanent die ökonomischen Verwerfungen, aus denen schließlich soziale Verwerfungen und Massenarbeitslosigkeit, Sozialkahlschlag folgen.

Viele von den Forderungen, die im Aufruf wie auch dann auf der Demo und der Kundgebung erhoben wurden, sind ja durchaus berechtigt. So z.B.:  „Die sofortige Rücknahme der Agenda 2010 und der Hartz-IV Gesetze. Keine Zwangsumzüge! • Ein einheitliches und bedarfsdeckendes Gesundheits- und Sozialsystem. • Den uneingeschränkten Zugang zu und den Ausbau von Bildungs-, Erziehungs- und Kultureinrichtungen ohne Studiengebühren und Eliteuniversitäten. • Einheitliche Sozialstandards auf hohem Niveau in ganz Europa“ usw. Aber die Krux liegt in dem Nichtbehandeln und permanenten Ignorieren der seit Jahrzehnten hier stattfindenden ökonomischen Verwerfungen.
Dazu kommen Forderungen wie die nach Grundeinkommen und Mindesteinkommen ohne Bedingungen.
Sollen denn Erwerbslose sich etwa für solche Forderungen wie nach „Mindesteinkommen für alle Erwerbslosen ohne Arbeitszwang und Bedürftigkeitsprüfungen“, wie es im Aufruf heißt, einsetzen? Eine Forderung, die hier fett mit aufgetischt wird, die wir übrigens schon zigmal kritisiert haben. Sollen sie sich damit spalten und ausspielen lassen gegen die Arbeiter und Angestellten, statt mit ihnen und all den Anderen gemeinsam gegen die zu kämpfen, die Ausbeutung betreiben und jahrzehntelang eine Politik des Industrieabbaues betrieben haben und damit Erwerbslosigkeit und soziale Verwerfungen verursacht haben? Na, Danke.
Hier wird so getan, als könnte es darum gehen, sich in diesen Verhältnissen noch irgendwie, und sei es auf einem Minimum, einzurichten.

Als ob es hier nicht schon seit Jahrzehnten ökonomische Verwerfungen gäbe, als ob kein Industrieabbau existierte, dessen Folgen auf die Massen mit Arbeitslosigkeit, Sozialabbau und Kürzungen abgelastet werden, werden diese für das ganze Land grundlegenden Fragen nach wie vor weiterhin von den Organisatoren ausgeklammert. Für sie sind die Ursachen der Massenarbeitslosigkeit, die ökonomische Entwicklung offenbar kein Thema. Eine dermaßen permanent an den Tag gelegte Ignoranz gegenüber solch grundlegenden Fragen, die eine soziale Bewegung behandeln muß um weiter zu kommen, muß man hinterfragen, das hat Ursachen.

Tragende Kräfte dieser Art des sozialen Widerstandes sind offensichtlich dermaßen mit diesem System und seinem Staat verbunden, daß sie das nicht angreifen können und keine grundlegende Kritik vorbringen können. Ihr Begehren richtet sich immer wieder nur gegen den sog. „neoliberalen Umbau“, der die sozialen Widersprüche verschärft, wogegen ihre Politik und Forderungen dahin gehen zu versuchen, diese Verschärfung irgendwie wieder „sozial abzufedern“ und den „Sozialstaat“ zu retten. Aber auch dieser sogenannte „Sozialstaat“ war und ist ein Staat der kapitalistischen Ausbeutung und Unterdrückung. Einer, der auf internationaler Ausbeutung beruht! Das gehört zum Charakter des bundesrepublikanischen Staates, auch wenn ihn manche schönredend „Sozialstaat“ nennen und manche ihm in einer nach hinten blickenden Weise immer noch anhängen.
Seine Politik, die sozialen Widersprüche im Lande zu dämpfen und dabei die revolutionären Bestrebungen und Kräfte zu unterdrücken, sind gerade eine Voraussetzung, daß die Arbeiter heute so wehrlos sind, und sich der Kapitalismus jetzt wieder so relativ ungehemmt entfalten kann, mit all seinen ökonomischen und sozialen Verwerfungen und Kriegen, gegen die sich die Masse der Menschen auf solchen Protestdemonstrationen eigentlich richtet.

Anders als im Aufruf, gab es auf der Kundgebung auch mal direkt Kritik am Kapitalismus. Einige Berichte heben da den Ordensmann Böckermann hervor. Auch wenn er richtig sagte, daß die Überwindung des kapitalistischen Wirtschaftssystems keine Frage der Moral, sondern des Widerstands und der Revolution sei, so hängt diese Kapitalismuskritik allemal in der Luft und ist idealistisch. Diese Art der Kapitalismuskritik ignoriert gerade die materiellen Kräfte, die Arbeiterklasse und den Klassenkampf, mit denen der Kapitalismus überhaupt überwunden werden kann. Und sie ignoriert, daß durch den Industrieabbau die ökonomische Grundlage für die Arbeiterklasse, für die Entwicklung ihres Klassenkampfs hier, eingeschränkt und entzogen wird, und daß man dagegen vorgehen muß.
Nein, was wir brauchen ist eben, daß der Klassenkampf angepackt wird und von daher die Kritik am Kapitalismus und seiner Überwindung geführt wird. Dazu gehört natürlich, daß unser Kampf international ausgerichtet ist, daß er über die Grenzen hinweg geht, daß der Blick nicht auf Deutschland oder Europa beschränkt wird und daß man sich solidarisch international zusammenschließt, vor allem mit der Arbeiterklasse – die, anders als hier, weltweit durchaus im Wachsen begriffen ist.

 

 

 

 

 

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